Ukraine-Krise: Wie steht es zur Halbzeit zwischen Biden und Putin?
Russland hat also begonnen Truppen von der Grenze zur Ukraine abzuziehen und tut alles, um das der Welt auch zu zeigen. Ist damit die Kriegsgefahr gebannt? US-Präsident Biden bleibt skeptisch, aber verhandlungsbereit. Die Gespräche sollen weitergehen, das hat auch der Kreml bereits deutlich gemacht. Was aber ist das Ziel? Gibt es überhaupt eine diplomatische Lösung – und auf wessen Kosten geht die? Noch ist die Entspannung im Ukraine-Konflikt nur vorläufig. Das Patt zwischen Russland und dem Westen ist noch nicht aufgelöst. Versuch einer geopolitischen Halbzeit-Analyse
Die Punkte für Biden:
Die NATO ist aufgewacht:
Deutsche und britische Truppen verstärken die NATO im Baltikum, die USA verstärken ihr zuletzt stark vernachlässigtes Engagement in Europa. Die Allianz, die seit Jahren in einer Identitätskrise steckt, entdeckt ihr ursprüngliches Anliegen wieder: die gemeinsame Sicherung und Verteidigung Westeuropas. Und die demonstriert man in dieser Krise zumindest vorerst eindrucksvoll an der Ostflanke vom Baltikum bis nach Rumänien.
Klare Botschaften:
Die letzten Wochen waren geprägt vom heftigen Informationskrieg auf beiden Seiten. Washington hat die russischen Versuche, von einer Aggression des Westens zu sprechen, Russland und die Russen in der Ukraine als Opfer darzustellen, erfolgreich gekontert. Man hat deutlich gemacht, dass Moskaus Aggression eine unmittelbare und ernste kriegerische Bedrohung darstellt und dass man bereit ist, schnell und entschlossen zu reagieren.
Der Westen hielt zusammen:
Großbritannien hätte wohl noch heftiger reagiert, Deutschland am liebsten gar nicht und Frankreich wäre wieder einmal seinen eigenen Weg gegangen. Auch wenn diese Tendenzen im Hintergrund deutlich wurden. Zuletzt blieb man bei der gemeinsamen Linie: Waffen für die Ukraine, Soldaten an die NATO-Ostgrenze und die Drohung mit beinharten wirtschaftlichen Sanktionen. Putin hat man offensichtlich beeindruckt.
Keine Schlafmütze:
Seit Bidens Amtsantritt sind die Republikaner vor allem damit beschäftigt, ihn als senile Schlafmütze darzustellen, die ohnehin immer zu spät und dann falsch reagiert. In dieser Krise – anders als etwa in Afghanistan – ist ihnen das nicht gelungen. Biden war die Schlüsselfigur, um die sich in diesem diplomatischen Karussell alles drehte, und zeigte, dass Washington in geopolitischen Fragen weiterhin die Zentralmacht des Westens ist.
Die Punkte für Putin:
Auf Augenhöhe:
Putins wichtigstes Anliegen ist es, Russland als global agierende Großmacht darzustellen, die eine Hauptrolle auf der Weltbühne spielt. Damit bedient er auch die Erwartungen vieler seiner Landsleute, die ohnehin chronisch am Bedeutungsverlust ihrer Nation leiden. Die europäischen Staatschefs jedenfalls gaben sich im Kreml zuletzt die Klinke in die Hand und Joe Biden war zumindest ständig mit Putin im telefonischen Direktkontakt.
Undurchschaubar:
Die bevorzugte Rolle des ehemaligen KGB-Agenten ist die der undurchschaubaren Sphinx. Diese Rolle hat er in dieser Krise bisher lückenlos durchgehalten. Niemand weiß, was Putin in der Ukraine tatsächlich vorhatte, oder vorhat. Die Forderung der Moskauer Duma auf Anerkennung der Separatisten im Osten der Ukraine und die zweite erfolgreiche Hackerattacke auf das Nachbarland innerhalb weniger Wochen zeigen nur, dass Moskaus langer Arm auch in Zukunft weiter bis nach Kiew reicht. Das Spiel geht also weiter – und Putins Taktik kennt man noch immer nicht.
Thema auf dem Tisch:
Neutralität der Ukraine, oder ein Moratorium für den NATO-Beitritt des Landes: Das waren bisher Themen, über die man weder in Washington, noch in Brüssel, oder Berlin sprechen wollte. Jetzt liegen diese Ideen zumindest einmal auf dem Tisch und werden diskutiert. Gerade Frankreich hat signalisiert, dass es für einen echten Kompromiss eintritt. Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur mit – nicht gegen Russland – wird angedacht.
Militärparade:
Russlands Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine war auch eine Demonstration der Erneuerung der russischen Armee. Lange als verwahrloste Truppe betrachtet, verfügt sie jetzt über mobile Eliteverbände und modernste Waffen von der neuesten Generation Kampfjets bis zu Drohnen.
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