Schlacht um Wisconsin: "Trump hat fast alle Versprechen gehalten"
Bei Rachael und Jeffrey Runkel geht der politische Riss im „Kegel’s Inn“ in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin an diesem Septemberabend mitten durch die Familie. Im seit 95 Jahren deutsche Hausmannskost bietenden Restaurant erzählt das Paar bei Sauerkraut, Würstel und Hofbräu-Bier, wie es auf den 3. November blickt.
Die Managerin eines Beerdigungsinstituts will bei der Präsidentschaftswahl „auf jeden Fall wieder Donald Trump wählen – weil er für Recht und Ordnung steht und gegen Abtreibung ist“.
Ihr Ehemann, Informationstechnologe mit feinem Humor, „kann nicht ertragen, wie der Präsident redet“. Der 55-Jährige überlegt „trotz Bedenkens wegen der starken Linken in der Partei“ für den Demokraten Joe Biden zu stimmen.
Wie den Runkels geht es sechs Wochen vor dem Urnengang vielen im 5,8 Millionen Einwohner zählenden Wisconsin, das seit den 1980er-Jahren und Ronald Reagan keinen Republikaner mehr ins Weiße Haus geschickt hat. Bis 2016 Donald Trump kam. Und mit hauchdünnem Vorsprung von rund 22.000 Stimmen vor Hillary Clinton den einwanderungsbedingt wohl deutschesten US-Bundesstaat 2016 überraschend für sich entschied.
Um die zehn Wahlmänner/-frauen, die Wisconsin zu vergeben hat und die mit den in den anderen Bundesstaaten den Präsidenten küren, wird heuer mit noch härteren Bandagen gekämpft.
„Zünglein an der Waage“
Die Republikaner glauben sich im Vorteil. „Wir können wieder das Zünglein an der Waage sein“, sagt Bryan Davies nach einer Saal-Kundgebung mit Vize-Präsident Mike Pence im Holliday Inn-Hotel in Janesville. Davies klopft seit Wochen an Türen, macht Werbung für Trump. „Wir haben eine Armee von Helfern da draußen und Zehntausende neue Wähler registriert. Es sieht gut aus.“
Davies ist ein Prototyp des Trump-Wählers in Wisconsin – abgeklärt, kein Eiferer, aber für Kritik am Amtsgebaren des Rechtspopulisten kaum erreichbar. „Der Präsident hat fast alles gehalten, was er versprochen hatte. Steuersenkungen, weniger Bürokratie, zig konservative Richter bis hin zum Obersten Gerichtshof, Wiederbelebung des produzierenden Gewerbes, China endlich die Stirn geboten – ich will mehr davon.“
In der Coronavirus-Krise, die fast 200.000 Tote in den USA gefordert hat, vermag er bei Trump „keine wirklichen Versäumnisse“ zu erkennen. „Er hat besonnen reagiert, schnell den Einreisestopp für China verhängt. Ich wüsste nicht, was er noch mehr hätte tun sollen.“
Dass Umfragen den demokratischen Herausforderer Biden zuletzt sechs Prozentpunkte (52 zu 46 Prozent) vorne sahen, sei eine „Verzerrung der echten Verhältnisse“. Viele Wisconsinites hielten hinter dem Berg, wenn Meinungsforscher nachbohren. Sogar ein „Erdrutsch-Sieg“ Trumps sei nicht ausgeschlossen.
„Mehr als 70 Prozent für Trump“
Terry Dittrich erwartet dagegen ein „knappes Rennen“. Der 58-Jährige, dessen Großeltern aus Hamburg in die USA auswanderten, ist Chef der Republikaner im Landkreis Waukesha westlich von Milwaukee. Dort könnten die entscheidenden Würfel fallen. Aus Dittrichs Perspektive sieht die Rechnung so aus: Von knapp 410.000 Einwohnern gelten 100.000 als „Swingvoter“, die mal so und mal so abstimmen. Oder gar nicht.
„Bei Hausbesuchen haben 40.000 Leute unsere Fragebögen beantwortet“, berichtet Dittrich mit Stolz in der Stimme, „davon waren mehr als 70 Prozent für Trump.“ Überträgt sich das in aktives Wahlverhalten, könne Waukesha den Präsidenten über die Ziellinie bringen. Gemeinsam mit den vielen landwirtschaftlich geprägten Landkreisen, die „sowieso republikanisch wählen“.
Apostel des Präsidenten
Dittrich, alles andere als ein Scharfmacher, verkörpert einen Wählertypus, den man oft in dem wohlhabenden, weißen und idyllischen Bundesstaat antrifft. „Ich war 2016 kein Trump-Mann“, sagt er. Heute ist der passionierte Jaguar-Cabriolet-Fahrer ein Apostel des Präsidenten. Er nennt ihn „ehrlich und zielstrebig um unser Land bemüht“. Dass sich Trump immer noch als „Underdog“ und „Anti-Politiker“ inszeniert, komme in seinem republikanischen Bekanntenkreis gut an. Dort ist Washington D. C. das Synonym für Korruption und leere Versprechungen.
Spektakuläre Enthüllungen, wie sie der Reporter Bob Woodward gerade über Trumps Verharmlosungen in der Coronavirus-Krise vorgelegt hat, erklärt Dittrich mit „Versprechern“. Trump wollte „uns einfach nicht beunruhigen“. Der Präsident habe im Kern alles richtig gemacht. Schuld an verzögerter Virus-Bekämpfung trügen die Gouverneure der Bundesstaaten.
Plädoyer für Biden
Das sieht Chris Walton anders. Mit Joe Biden wäre die Coronavirus-Krise „nicht so schlimm geworden“. Eine früher betriebene Schutzmasken-Pflicht plus Lockdown hätten dafür gesorgt, dass nicht annähernd 200.000 Amerikaner sterben hätten müssen. Biden hätte nicht wie Trump „gelogen und die gute Wirtschaft zusammenbrechen lassen, die Obama hinterließ“. Und unter Biden wäre keine Politik betrieben worden, „die Leute zu spalten“ und den politischen Gegner wie einen Feind zu behandeln – das habe das Land „moralisch an den Rand des Bankrotts geführt“.
Deswegen glaubt der 31-Jährige an einen Sieg seines Favoriten: Wisconsin werde wieder blau, sprich demokratisch meint der Afroamerikaner, der Parteichef im bevölkerungsreichsten Landkreis Milwaukee County ist. Die aktuelle Rassismus-Debatte hat den Politologen, der Trump in diesem Zusammenhang einen „Brandstifter“ nennt, der „mit einem Paket Streichhölzer in einer Papierfabrik herumrennt“, persönlich getroffen: „Mein Ur-Ur-Ur-Großvater war Sklave. Meine Großeltern durften nicht wählen.
Zwei Generationen später bin ich Parteichef der Demokraten. Das zeigt das Schöne an Amerika. Aber auch den Schmerz, der dem vorausgegangen ist.“ Waltons große Sorge: Dass sich Trump in der Wahlnacht „vorschnell als Sieger ausruft“, Gewalt und Chaos seien dann nicht auszuschließen. „Es gibt bereits gelbe Warn-Flaggen“, sagt er, „hoffentlich werden sie nicht rot.“
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