Durchkämmte Züge
Die Realität sieht anders aus: An mehr und mehr Binnengrenzen werden wieder Kontrollen eingeführt. Die kilometerlangen Staus sind zurückgekehrt, Polizisten durchkämmen die Züge zwischen Deutschland und Österreich.
Schengen – das einstige europäische Vorzeigeprojekt – präsentiert sich heute schwer durchlöchert:
Frankreich hat an jeder seiner Grenzen wieder Kontrollen eingerichtet – im Namen der Terrorbekämpfung. Seit den verheerenden Anschlägen im Herbst 2015 werden alle halben Jahre die Kontrollen verlängert. Das ärgert vor allem Italien – von dort aber kommen immer wieder große Zahlen an Migranten, deren eigentliches Ziel entweder Frankreich oder Großbritannien ist.
Und Migranten, bzw. deren Schleuser, sind auch der Grund, warum auch alle anderen Staaten wieder ihre Grenzkontrollen aufgezogen haben: Deutschland gegenüber Österreich. Österreich wiederum gegenüber Slowenien, Ungarn und seit gestern Mitternacht gegenüber der Slowakei (siehe unten).
Und nach den jüngsten Massenankünften auf der Insel Lampedusa hatte Kanzler Karl Nehammer laut darüber nachgedacht, auch Grenzkontrollen zu Italien einzuführen. Umgesetzt wurde das allerdings bisher nicht.
Die Wirtschaft bremst
Gegen den Widerstand der deutschen Wirtschaft fasst Deutschland nun auch Grenzkontrollen zu Polen ins Auge. Und Polen wiederum kontrolliert neuerdings zur Slowakei; Tschechien folgt dem polnischen Beispiel und zieht ebenfalls Kontrollen gegenüber seinem früheren Bruderstaat auf. Dänemark hat schon vor Längerem zu seinem großen Nachbarn Deutschland die Kontrollen verstärkt.
Schweden prüft intensiv seine Häfen und die Grenzen zu Finnland und Norwegen. Und auch Norwegen (kein EU-Staat, aber Schengen-Mitglied) kontrolliert genau in seinen Häfen.
Hohe Asylzahlen
Fazit: Lebt Schengen eigentlich noch? Rund ein Drittel seiner Mitgliedstaaten kontrollieren wieder an seinen Binnengrenzen. „Es gibt im Schengenraum einen Aspekt der Dysfunktionalität“, sagt Außenminister Alexander Schallenberg und begründet dies mit den hohen Asylzahlen in Österreich. Im Vorjahr waren es 110.000 Anträge, heuer sind es hingegen im Schnitt um ein Drittel weniger.Das hat aber weniger mit Grenzkontrollen zu tun als mit dem Ende der Visafreiheit für Inder und Tunesier in Serbien. Denn von dort hatten sich bis Ende 2022 Tausende Migranten auf den Weg in die EU gemacht.
Wer Grenzkontrollen einführt, muss sie vor der EU-Kommission begründen und von ihr genehmigen lassen.
Die Behörde grummelt zwar heftig und drängt vehement darauf, die Kontrollen wieder zu beenden. Doch bisher hat Brüssel eine Verlängerung der Kontrollen noch nie abgelehnt.
Umso stärker murrt die Wirtschaft. Kontrollen an den Grenzen bremsen den Transport. „Für jeden Grenzübertritt im Schengen-Raum reduziert sich der bilaterale Warenfluss laut Modellrechnungen um 2,7 Prozent“, schildert die Ökonomin Elisabeth Christen (WIFO) dem Onlinemagazin Euractiv.
Was die verstärkten Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraumes hingegen nicht können: Migranten zurückweisen. Kommt ein Flüchtling erst einmal in Österreich an, muss ein Asylantrag aufgenommen werden.
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