Sanierungsfall Westminster - das älteste Parlament der Welt zerbröselt

Blick auf die Houses of Parliament und den Big Ben in London, mit Passanten im Vordergrund.
Parlamentsrenovierung in Lodon wird immer weiter aufgeschoben. Jetzt gibt es eine Mäuse- und Rattenplage, fallendes Mauerwerk und keinen Brandschutz.

Seit dem Rücktritt Boris Johnsons als Chef der konservativen Tory-Partei wartet das politische London darauf, wer diese Rolle und das Amt als britischer Premier vom skandalumwitterten Populisten übernimmt. Aber nicht nur die britische Regierung ist ein Sanierungsfall.

Londons Palace of Westminster genießt den Ruf als Sitz der „Mutter aller Parlamente“. Aber hinter der imposanten Fassade bröckeln die Houses of Parliament seit geraumer Zeit ähnlich wie die Tories in der Wähler-Gunst. Während die Mühlen der Demokratie langsam mahlen, nagen Ratten, Deckenrisse und Wasserschäden an seiner Bau-Substanz.

Ein langer Flur mit einem bunten Teppich und Holzbänken an den Seiten.

„Wer im Palast arbeitet, setzt sich  körperlicher Gefahr aus,“ warnte eine Studie 

Denn der Großteil des neugotischen Baus wurde nach einem Feuer, der den ursprünglichen Palast niederstreckte, 1840-1876 errichtet. Eine Parlamentswebseite freut sich, dass er „eines der bekanntesten Gebäude der Welt ist“, betont aber auch: „Heute verfällt er schneller als er repariert werden kann. Je länger wesentliche Arbeiten ausbleiben, desto größer das Risiko eines katastrophalen Defekts.“

Wie Notre-Dame

Die Tory-Abgeordnete Andrea Leadsom warnte im Mai gar vor einem neuen Großbrand wie dem, der 2019 die Kathedrale Notre-Dame in Paris schwer beschädigte. „Das Parlament könnte heute niederbrennen oder morgen oder an irgendeinem Tag“, schlug sie Alarm.

„Schon im Jahr 2000 fand eine Studie über den Keller des Palasts, dass die Infrastruktur innerhalb von fünf bis zehn Jahren ersetzt werden sollte“, erklärt Dr. Alexandra Meakin, Lecturer für Politik an der Universität Leeds, dem KURIER. „Die Warnung verhallte. Erst 2012 wurde ein großes Sanierungsprojekt gestartet.“

Dennoch gibt es Streit und Schlagzeilen, wie auch über das Video einer Maus in einem Restaurant im Hohen Haus. „Fast 2.000 Pfund (2.352 Euro) pro Woche werden für einen aussichtslosen Kampf gegen Nagetiere, Motten und Möwen ausgegeben“, schrieb der Daily Mirror 2017 und erwähnte 1.755 Mäuse- und 128 Rattenfallen.

Viele Debatten später wurde das Ziel gesetzt, 2023 über einen Kostenvoranschlag abzustimmen. Aber im Februar stießen Schätzungen vor allem vielen Tories sauer auf. 19-28 Jahre würde die Renovierung dauern, Parlamentarier müssten die heiligen Hallen auf 12-20 Jahre verlassen, hieß es. Kostenpunkt: 7-13 Milliarden Pfund (8,4 bis 15,5 Milliarden Euro). Unter den essenziellen Eingriffen wurden Asbestentfernung, verbesserter Brandschutz und neue Strom-, Heiz-, Wasser- und Abwasser-Infrastruktur genannt.

Traditionsverlust

„Die Haupteinwände sind die Kosten und der temporäre Auszug, vor allem im Unterhaus“, wo die Tories eine Mehrheit haben, sagt Meakin. „Die Lords im Oberhaus sind bereit, auszuziehen. Im Unterhaus fürchten manche aber, ihre Karriere könnte enden, bevor sie auf die grünen Bänke zurückkehren. Andere fürchten Traditionsverlust.“

Ohne Ausweichort, die Regierung lehnte etwa ein Konferenzzentrum unweit des Parlaments ab, könnte die Sanierung laut Experten den Palast sogar auf 46 bis 76 Jahre in eine Baustelle verwandeln und die Kosten auf bis zu 22 Milliarden Pfund (26.3 Milliarden Euro) erhöhen.

Eine Gruppe von Menschen steht vor einem Postamt in einem verzierten Gebäude.

Seit dem Jahr 2000 wird über eine Sanierung des Parlaemnts gestritten

Vor der parlamentarischen Sommerpause warnte ein Komitee vor weiteren Verzögerungen und wies auf allein 25 Brandvorfälle und 13 Fälle fallenden Mauerwerks seit 2016 hin.

Caroline Lucas, die einzige Abgeordnete der grünen Partei, gibt einem Niedergang der politischen Kultur die Schuld. „Unsere Probleme enden nicht mit Boris Johnson“, meinte sie kürzlich. „Der Palace of Westminster – gotisch, rattenverseucht und in die Themse verfallend – ist zu einem mächtigen Symbol des politischen Verfalls geworden, eines politischen Systems, das völlig kaputt ist.“

Parlamentsumbau in Österreich fast fertig

Bei der Generalsanierung des Parlaments in Wien  ist nicht alles glatt gelaufen. Auch bedingt durch die Pandemie verzögerten sich die 2017 begonnenen Arbeiten. Der ursprüngliche Fertigstellungstermin war 2021, mit zweijähriger Verspätung soll nun 2023 der Sitzungsbetrieb wieder möglich sein.

Die Pallas-Athene-Statue vor dem österreichischen Parlament in Wien.

Doch nicht nur der Zeitplan konnte nicht eingehalten werden. Stolze 70 Millionen Euro zusätzlich mussten für den Umbau abgesegnet werden. Das sind  rund 20 Prozent mehr als die ursprünglich geplanten 352 Millionen Euro. Zuletzt sorgte auch noch die Akustik für Probleme. Diese sollen  jedoch bis Herbst behoben sein, damit die Angelobung des Bundespräsidenten am 26. Jänner im Parlament stattfinden kann. 

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