Auch die NATO-Staaten haben erst am Mittwoch Russland zur Deeskalation der Lage gedrängt. Allerdings nicht in dem Maße, wie es die Ukraine von dem westlichen Militärbündnis erwartet und erhofft hatte.
Braut sich da ein Krieg mit NATO-Beteiligung zusammen? "Es ist ein kräftiges Säbelrasseln Russlands. Aber ich glaube nicht, dass es zu einer militärischen Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine und damit auch mit der NATO zu einer Auseinandersetzung kommt", winkt der Miltärstratege Walter Feichtinger im Gespräch mit dem KURIER ab.
"Bärendienst"
Auch eine russische Annexion der Gebiete Luhansk und Donezk entlang der russischen Grenze schließt er aus. "Diese Gefahr sehe ich nicht. Damit würde Russland die ganze Welt gegen sich aufbringen - auch China", erklärt Feichtinger, Präsident des Centers für Strategische Analysen (csa) in Wien. "Russland erwiese sich selbst einen Bärendienst."
Strategisch mache es keinen Sinn: "Russlands Konstrukt, nur 'Vermittler' und nicht Konfliktpartei in der Ukraine zu sein, würde sofort als Lügengebäude zusammenfallen. Und das wäre dann ein internationaler Kriegsgrund." Warum, fragt Feichtinger rhetorisch, warum sollte Moskau das alles in Kauf nehmen, wenn es zudem noch "beachtliche Kosten" in der Ostukraine zur Versorgung der Menschen übernehmen müsste. "Jetzt helfen dort noch internationale Hilfsorganisationen den Menschen, und Kiew zahlt noch die Pensionen."
Rache an Selenski
Aber was treibt Putin und seine Strategen dann zur Truppenverlegung an die ukrainische Grenze? Feichtinger: "Es ist vor allem ein Signal an den ukrainischen Präsidenten Selenski, mit dem Moskau äußerst unzufrieden ist. Er soll geschwächt und diskreditiert werden, nachdem sich Selenski mit einem prorussischen ukrainischen Oligarchen angelegt hat, der sehr eigenmächtig bisher agiert hat. Selenski hat ihm auf die Finger geschlagen - und das passt Putin gar nicht."
"Putins Kumpel"
Besagter Oligarch heißt Viktor Medwedtschuk. Der 66-Jährige wird gern als "Putins Mann in der Ukraine" oder auch "Putins Kumpel" bezeichnet. Seine hervorragenden Beziehungen zum Machthaber in Moskau gehen soweit, dass Putin 2004 als Taufpate der Tochter des Oligarchen fungierte.
Medwedtschuk hat es bereits in den 90er Jahren in der Ukraine zu viel Geld und Einfluss gebracht. Seit Kriegsbeginn 2014 fungierte er als eine Art "Unterhändler" mit Russland. So ließ er sich als Vermittler bei Putin 2019 für die Befreiung ukrainischer Gefangener zu Weihnachten feiern. Und Medwedtschuk ist Chef der prorussischen Partei „Oppositionsplattform – Für das Leben“, die mit 44 Abgeordneten im Parlament in Kiew vertreten ist.
Sender gesperrt
Womit hat Selenski jetzt dem Oligarchen "auf die Finger geschlagen"? Der erste Schlag erfolgte im Februar: Der Sicherheitsrat der Ukraine beschloss Sanktionen gegen einen Parteikollegen Medwedtschuks, Taras Kosak. Dessen Fernsehsender - Sprachrohr von Medwetschuk und seiner Partei - wurden als "Gefahr für die nationale Sicherheit" abgeschaltet. Medwedtschuk tobte und sprach vom „Übergang vom demokratischen zum totalitären Staat“. Die Sender berichten mittlerweile über Youtube.
Ein paar Wochen später nahm Kiew Medwedtschuk selbst ins Visier. Er unterstütze mit der Lieferung von Treibstoff an die prorussischen Kämpfer in der Ukraine „Terrorismus“. Sanktionen gegen ihn, seine Frau und einige russische Staatsbürger sowie gegen 19 Unternehmen, die ihnen gehören, wurden verhängt. Dazu zählt etwa der Betreiber einer Pipeline, durch die russische Ölprodukte in die Ukraine und nach Mitteleuropa fließen. Dass Moskau da ruhig zusieht, das war wohl nicht zu erwarten.
Doch Selenski, glauben Beobachter, war offenbar zuversichtlich, dass ihm Joe Biden zur Seite steht - und die NATO, deren Mitglied die Ukraine unbedingt werden will. Alle Experten halten das - als nicht hinnehmbare Provokation für Russland - aber für ausgeschlossen. Die Sache sei glasklar, betont Feichtinger: "Die NATO nimmt kein Land auf, das im Kriegszustand ist. Und das ist die Ukraine."
Nukleare Drohung
Die Ukraine griff am Donnerstag daher zu einer Drohung: Sie zieht eine atomare Aufrüstung in Betracht, sollte das osteuropäische Land nicht Mitglied der Nato werden. „Entweder sind wir Teil eines Bündnisses wie der NATO und tragen auch dazu bei, dass dieses Europa stärker wird, (...) oder wir haben eine einzige Option, dann selbst aufzurüsten“, sagte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrej Melnik, im Deutschlandfunk. Kiew werde dann „vielleicht auch über einen nuklearen Status“ nachdenken. „Wie sonst können wir unsere Verteidigung garantieren?“
Hintergrund der Drohung: 1994 hatte Kiew den Verzicht auf das auf ukrainischem Territorium lagernde drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt aus Sowjetzeiten erklärt. Im Gegenzug verpflichteten sich damals die USA, Großbritannien und Russland, die Grenzen der Ukraine zu achten.
Nach dem 21. April sollte die Welt klarer sehen, wie es weitergeht.
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