Der Putinismus hat bereits gesiegt

Der Putinismus hat bereits gesiegt
Putin ließ sich ein fünftes Mal wählen, dank Manipulation und Überwachung. Der Putinismus ist damit überall: Ein Land ohne den Kremlherrscher ist für die meisten Russen undenkbar – ebenso wenig wie ein Land ohne Krieg.

Die Anweisungen an die 5.000 Mitarbeiter der Astrachaner Gasfabrik waren sehr konkret. Sie würden vor der Wahl per SMS einen Link zugeschickt bekommen, sagten ihre Chefs in einer Betriebsversammlung; den sollten sie dann bei der Stimmabgabe öffnen. So könnten die Behörden sehen, dass sie auch wirklich gewählt hatten.

GEO-SMS nennt sich das Projekt, mit dem Putins Partei dem Kremlchef bei der Präsidentschaftswahl eine hohe Beteiligung verschaffte. Vorschriften wie die Mitarbeiter in Astrachan bekamen fast alle im Staatsdienst und in Staatsnähe, oft auch mit einer klaren Wahlempfehlung der Vorgesetzten oder Professoren.

Bis Sonntag hatten sie Zeit, ihren alten Präsidenten zum neuen zu machen, auch in den besetzten Gebieten der Ukraine ließ er sich quasi-legitimieren. Dort war man beim Auffordern noch offensiver: Wahlkommissionen gingen mit Stimmzetteln von Haus zu Haus, oft mit Maschinengewehren. Das Kreuz machte man dann vor den Augen der Besatzer.

Ein anderes Land

Putin ließ sich zum fünften Mal wählen, doch im 25. Jahr seiner Herrschaft ist das kein lästiges Ritual mehr wie stets zuvor. Diesmal stand kein einziger Kandidat mehr auf der Liste, für den man aus ernsthaftem Protest stimmen könnte, und die Überwachung war so massiv wie die Propaganda. Mehr als eine Milliarde Euro hat der Kreml in Werbung investiert, so viel wie nie zuvor.

Das liegt nicht etwa daran, dass Putins Wahlerfolg gefährdet gewesen wäre. Selbst bei nicht manipulierten Wahlen würde er die absolute Mehrheit erreichen, schätzen Experten. Doch Russland ist nicht mehr das Land, in dem Alexej Nawalny am Leben war und sogar versuchen durfte, offiziell gegen Putin in die Wahl zu ziehen. Der Gesellschaftsvertrag hat sich geändert: Vor dem Krieg hatte er den Russen fast alle Freiheiten gelassen, solange die sich nicht in seine Politik einmischten. Diese erkaufte Apathie sicherte ihm 20 Jahre Herrschaft. Seit er aber seine Machtfantasien der Ukraine übergestülpt hat, hat sich das verschoben: „Das Regime verlangt vom Volk nicht mehr nur Schweigen, sondern Komplizenschaft“, beschreibt es Andrej Kolesnikow von Carnegie Europe. Wer in Russland nicht offensiv für den Krieg ist, macht sich verdächtig.

Erinnerungen an Stalin

Nicht umsonst erinnert das viele Beobachter an die Zeit Stalins. Außenminister Sergej Lawrow hat zuletzt auffallend oft von „Säuberungen“ in der Gesellschaft gesprochen, eine Wortwahl, die aus den blutigen 1930ern stammt. Das zielt auf alle, die angeblich das System unterminieren, weil sie zu „westlich“ sind – wie die „Kosmopoliten“ damals in der Sowjetunion, die Stalin der Destabilisierung beschuldigte.

Heute trifft dieser „neo-stalinistische“ Zorn, wie Kolesnikow ihn nennt, unbequeme Schriftsteller wie Ljudmila Ulizkaja und Boris Akunin. Die beiden, zwei der prominentesten russischen Autoren überhaupt, werden öffentlich diffamiert, und das funktioniert: Dass jetzt im Wahlkampf mehr Prominente für Putin warben als je zuvor, ist nicht nur Gefallsucht, sondern vorauseilender Gehorsam.

Für die Zeit nach der Wahl verheißt das nichts Gutes. Schon davor ließ Putin wissen, dass er den Staatsapparat umbauen will, dass Veteranen an die Schaltstellen der Macht kommen sollen, „Zeit für Helden“ nennt er das. Neben der Kriegswirtschaft errichtet er so eine Kriegsgesellschaft; das hat den Vorteil, dass man traumatisierte Rückkehrer unter Kontrolle hat, damit die keine Schattenarmee bilden können. Dazu wird alles durchmilitarisiert – und der Zustand des Kriegs normalisiert.

Zeitgleich ist es eine Botschaft an die politischen und wirtschaftlichen Eliten, die Putin immer wieder als „gierig“ und zu westorientiert schimpft: Niemand soll sich seines Status mehr sicher sein, jeder ist austausch- und wegsperrbar, wenn Putin es will. „Putinismus“ nennen die Osteuropa-Forscher Michael Kimmage und Maria Lipman dieses Herrschen über Seelen und Körper. Putin habe die Russen so der Fähigkeit beraubt, sich ein Land und eine Zukunft ohne ihn vorzustellen – im Guten wie im Schlechten: Selbst die, die Frieden wollen, glauben, nur Putin könnte ihn bringen.

Der Frieden ist in diesem System jedoch nicht vorgesehen, sagen die Experten. So wie Putin den Wahlsieg in den besetzten Gebieten braucht, um den Krieg zur „Befreiung der Ukrainer“ zu rechtfertigen, braucht er den Krieg selbst, weil der zum Wesenskern seiner Herrschaft geworden ist. Das hat er kürzlich selbst sogar im TV gesagt: Mit der Ukraine zu verhandeln, nur weil der die Munition ausgehe, habe er auf keinen Fall vor . Das sei schlicht: „lächerlich“.

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