Seit drei Monaten führt Wladimir Putin seinen blutigen Krieg in der Ukraine. Drei Monate, in denen seine Beliebtheitswerte so hoch kletterten wie seit Jahren nicht und in denen das offizielle Russland in einen Hurra-Patriotismus verfiel, der jeden noch so leisen Unmut in der Bevölkerung übertönen sollte.
Doch jetzt hat sich etwas verschoben in Moskaus Machtzentrum. Wie das stets gut informierte Investigativportal Meduza berichtet, hat sich in den Eliten rings um Putin Ernüchterung breit gemacht: „Es gibt so gut wie niemanden mehr, der mit Putin zufrieden ist“, zitiert das Portal Kreml-Insider. Der Tenor: „Der Präsident hat es vermasselt.“
Keiner will in den Krieg
Die Gründe für diesen Meinungsumschwung? Putin hat offenbar beide Elitengruppen um ihn gegen sich aufgebracht: Die Militaristen, die ein härteres Vorgehen in der Ukraine wünschen, und die Wirtschaftseliten, die ein Ende des Krieges durch Verhandlungen herbeisehnen.
„Die Wirtschaft und viele Regierungsmitglieder sind unglücklich darüber, dass der Präsident den Krieg begonnen hat, ohne über das Ausmaß der Sanktionen nachzudenken“, so eine Quelle. Vor allem, dass Europa ein Gasembargo erwägt, treibe viele im Kreml-Umfeld um.
Die Falken hingegen – also die Kriegstreiber – glauben ohnehin nicht daran, dass der Westen seine Drohungen umsetzt. Sie bemängeln deshalb, dass Putin nicht schlagkräftiger und brutaler in der Ukraine vorgeht, fordern eine Generalmobilmachung und einen neuerlichen Angriff auf Kiew.
Auch in Geheimdienstkreisen, Putins eigentlichem Machtzentrum, hat man Zweifel an seiner Führungsfähigkeit: Dort hält man das ganze Vorgehen in der Ukraine mittlerweile für einen „Fehler“. Die „Spezialoperation“ laufe den Interessen des Staates so massiv zuwider, dass man sogar Spione aus den USA als Einflüsterer im Kreml vermutet, schreibt das Investigativmedium Istories. Und in den Regionen gibt es vereinzelt Abgeordnete, die sich dem Kremlkurs widersetzen – zuletzt zwei Kommunisten, die dafür prompt ihr Stimmrecht verloren.
In der Zwickmühle
Dass Putin weder die einen noch die anderen Wünsche seiner Eliten erfüllt, ist allerdings nicht verwunderlich. Ein schneller Friedensschluss ohne weite Gebietsgewinne könnte ihm als Einknicken ausgelegt werden, so die Befürchtung; das würde seine Beliebtheit drücken. Eine Mobilisierung andererseits würden die Bürger nicht mittragen. Der Kreml hat dafür extra Umfragen in Auftrag gegeben, und die zeigten, dass selbst jene Russen, die den Krieg an sich unterstützen, nicht bereit sind an die Front zu gehen – oder auch nur ihre Verwandten ziehen zu lassen.
Dieser Unmut zeigt sich auch in den Brandanschlägen auf Einberufungsbüros der Armee, die sich zuletzt häuften; und auch in der Armee selbst wächst der Widerstand. Erst kürzlich verloren 115 Nationalgardisten ihren Job, weil sie nicht in die Ukraine wollten – das ist Putins Leibgarde, die auch in den Krieg geschickt wurde.
„Zukunft nach Putin“
Freilich, Unzufriedenheit ist nicht mit Putschbereitschaft gleichzusetzen – die Chance, dass sich die Russen gegen ihren Staatschef erheben, schätzen Beobachter wegen der massiven Repressalien und der seit Langem herrschenden Polit-Apathie als sehr gering ein. Und auch eine Palastrevolution ist nahezu ausgeschlossen – auch deshalb, weil die Elitengruppen untereinander stark verfeindet sind.
Aber es gebe erstmals eine Debatte über eine „Zukunft nach Putin“, sagen Kreml-Insider zu Meduza. „Man ist sich einig – oder wünscht sich –, dass er in absehbarer Zeit nicht mehr an der Spitze des Staates stehen wird“, heißt es. Auch Namen würden bereits kolportiert. Etwa der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin, der zuletzt immer stärker auf ein schnelles Kriegsende gedrängt hat – Moskau leidet als größter Wirtschaftsstandort am meisten unter den Sanktionen. Ebenso auf der Liste: Sergej Kirijenko, unter Boris Jelzin Premier und jetzt Vize-Leiter der Präsidialverwaltung, der seit Kriegsausbruch deutlich präsenter ist als zuvor. Das gilt auch für Putins zwischenzeitlichen Nachfolger, Dmitrij Medwedew. Er hat sich zuletzt mit martialischen Sagern wie dem Ruf nach der Wiedereinführung der Todesstrafe wieder ins Spiel bringen wollen, allerdings hat kaum jemand so schlechte Beliebtheitswerte wie er.
Dass einer dieser Männer bald Putins Nachfolge antreten könnte, halten aber selbst seine größten Kritiker für unwahrscheinlich. Das wäre nur denkbar, wenn er aus Gesundheitsgründen aus dem Amt scheiden sollte. Eine Quelle formuliert es so: „Die Leute schimpfen, aber sie arbeiten trotzdem weiter – und stimmen das Land weiter auf Krieg ein.“
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