Landwirtschaft im Krieg: Ein Österreicher in der Ukraine erzählt
Das Schwarze Meer ist nicht nur eine beliebte Urlaubsdestination im Osten Europas, sondern vor allem ein wichtiger Wirtschaftsraum. Die als „Kornkammer der Welt“ bekannte Ukraine verschiffte vor dem Krieg von der Schwarzmeer-Küste aus 90 Prozent ihrer Getreideexporte nach Nordafrika, Nahost und Asien. Doch seit russische Truppen das Land Ende Februar überfielen, Häfen besetzten oder durch Angriffe und Seeminen blockieren, ist es damit vorbei.
Nun stauen sich in Mariupol, Mikolajiw oder Odessa Millionen Tonnen Getreide. Einer der Gründe, warum die Weltmarktpreise u. a. für Weizen und Mais enorm gestiegen sind. Und in vielen – vor allem armen – Ländern gibt es bereits Engpässe.
"Unvernünftig teuer"
Betroffen von der Blockade ist auch Wolfram Reichert. Der 53-jährige Österreicher führt drei landwirtschaftliche Betriebe in der Nähe der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg).
Mit 36 Mitarbeitern baut er auf 2.500 Hektar Land Bio-Getreide und andere Bio-Produkte wie Leinsamen an. Nahezu 100 Prozent der Erzeugnisse gehen in die EU, sagt Reichert. Zumindest normalerweise: „Derzeit haben wir Ware im Hafen von Ochakiv nahe Mikolajiw und in einer Ölmühle im Osten liegen“.
Potenzielle Abnehmer gäbe es genug, auch für Kollegen in anderen Teilen der Ukraine, sagt Reichert. Das Problem sei der Transport. Zwar könnten Bauern, zumindest in der vergleichsweise sicheren Westukraine, Teile ihrer Ware per LKW auf den Weg bringen. Doch das sei „unvernünftig teuer“ geworden.
Für eine Tonne Mais bekomme er rund 450 und ein konventioneller Betrieb rund 300 Euro. Der Transport koste 150 Euro pro Tonne, rechnet Reichert vor – so es überhaupt Kapazitäten gebe. Da bleibe von den gestiegenen Getreidepreisen nichts übrig. Größere Betriebe im umkämpften Osten stünden vor dem Problem, überhaupt keine Transporter zu bekommen, „weil niemand mehr dorthin fahren will“.
Bomben auf Zugstrecke
Zuletzt von der EU vorgestellte Pläne, Getreide auf Zügen oder der Donau zu transportieren, seien ein „Tropfen auf den heißen Stein“, meint Reichert. Die Ukraine exportiere jährlich allein 50 Millionen Tonnen Weizen und Mais; das mit Zügen zu bewerkstelligen sei unmöglich. Dazu kommt, dass ukrainische Gleise eine andere Spurbreite haben als die westlichen Nachbarländer; an der Grenze müssen Güter mühsam umgeladen werden.
Und auch beim Schiffstransport über die Donau winkt Reichert ab. Der noch offene Donauhafen in Ismajil sei kaum auf Getreide ausgelegt. Zudem bombardiere Russland massiv die dorthin führende Bahnstrecke.
Während die Ernte des Vorjahres also in Depots und Frachtschiffen lagert, bangen Bauern bereits um die diesjährige. „Wir bekommen keinen Diesel“, sagt Reichert, „was uns in der Aussaat limitiert.“
Die Ukraine importiere zwar weiter Diesel, in erster Linie bekomme diesen aber das Militär. „Danach kommen Ärzte, Krankenwagen und dann die Landwirtschaft.“ Wenn dann noch etwas übrig sei, kämen die Autofahrer zum Zug – weshalb es in Lemberg derzeit „angenehm“ sei: „Es gibt keine Staus mehr.“ Man müsse sich jede Fahrt allerdings gut einteilen.
Tägliche Luftalarme
„Unser Büro ist in Lemberg 50 Meter vom Bahnhof entfernt, wo man sich, wie auch in der Nähe des Flughafens, bei Luftalarm besser nicht aufhält“, berichtet Reichert über ein anderes Problem, das der Krieg mit sich bringt.
Damit er und seine Mitarbeiter nicht täglich bis zu fünf Mal die Arbeit unterbrechen müssen, um in den Luftschutzkeller zu gehen, sei das Büro derzeit geschlossen. „Die Mitarbeiter sind im Home-Office, ein paar sind nach Polen gegangen“, so Reichert.
Einige Traktoristen seien wie schon 2014 von der Armee abgeworben worden, weil die jeden brauche, der Traktoren und damit LKW und Panzer reparieren könne. Das sei bisher kein Problem, „da wir ja zu wenig Diesel haben, um mehr auszusäen“. Weitere Kräfte dürften aber nicht ausfallen.
Familie ist in Wien
Er selbst fühle sich in Lemberg sicher, auch wenn die Lage angespannt und bedrückend sei, sagt Reichert, der seit 14 Jahren in der Ukraine lebt und dessen zwei Kinder dort aufgewachsen sind. Die Versorgung sei aufrecht, und wenn man wie er in Euro verdiene, seien die stark gestiegenen Lebensmittelpreise nicht wirklich spürbar. Für Ukrainer mit wenig Geld, etwa Pensionisten, sei vieles kaum mehr leistbar: Lebensmittel, Gas, Strom, Medikamente. Zu Kriegsbeginn hätte sich der Preis für ein Kilo Kartoffeln binnen Tagen von 8 auf 15 Hrywnja verdoppelt.
Er sei seines Wissens der einzige österreichische Agrarunternehmer, der nach Kriegsbeginn durchgehend in der Ukraine geblieben sei, sagt Reichert. Seine Frau und die Kinder habe er „am zweiten Kriegstag in einen Zug nach Wien“ gesetzt, wo die Familie eine Wohnung habe.
Der Ukraine ganz den Rücken zu kehren, komme für sie im Moment aber nicht infrage.
Er nehme nicht an, dass die russischen Truppen auch in die Westukraine einrücken werden, ist Reichert optimistisch. Er sagt aber auch: „Mein Auto ist immer getankt, und wenn aus Weißrussland doch die Garnisonen hereinmarschieren, bin ich weg.“
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