Mit 160.000 bis 180.000 Soldaten waren die russischen Streitkräfte am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert. Der Angriff schlug vor allem im Norden fehl, doch auch im Süden und im Osten konnte der Kreml seine Ziele nicht vollständig erreichen. Wenig später stieg Moskau auf einen Abnützungskrieg um, in dem vor allem materielle wie personelle Ressourcen zählen.
Warum Moskaus Angriff fehlschlug: Das Ende der Bataillonskampfgruppe
Anfang 2023 – wenige Monate nach der erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive und der ersten russischen Mobilmachung – waren 360.000 russische Soldaten im Einsatz in der Ukraine. Ein Jahr später 470.000. Am Mittwoch kündigte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu an, bis Jahresende zwei weitere Armeen sowie 14 Divisionen und 16 Brigaden aufzustellen. Er machte keine Angaben, welche Waffengattungen in welchen Verbänden vertreten sein werden. Geht man davon aus, dass eine Division – je nach Waffengattung – von 12.000 bis 24.000 Soldaten fasst und eine Brigade von 2.500 bis 8.000, könnte Russland neben den zwei Armeen bis Jahresende über 288.000 bis 464.000 zusätzliche Soldaten verfügen. Geht man von etwa 80.000 bis 100.000 Soldaten pro Armee aus, wären das insgesamt bis zu 664.000.
Bleibt die Frage, woher die Soldaten kommen sollen.
Als Putin die Teilmobilmachung im Herbst 2022 verfügte, war der Unmut in der Bevölkerung groß, Zehntausende Russen verließen das Land. Das hat sich allerdings im vergangenen Jahr geändert, seit das russische Verteidigungsministerium eine große Anwerbeoffensive lanciert hat. Vor allem in den strukturschwachen Regionen Russlands greift Geld als Lockmittel: Während das Durchschnittsgehalt in Russland etwa 70.000 Rubel (700 Euro) beträgt, beginnt das Monatsgehalt eines Vertragssoldaten bei 204.000 Rubel (2.040 Euro).
Boni können auch für die Teilnahme an Angriffsaktionen und beispielsweise den Abschuss westlicher Panzer vergeben werden. Auch wenn es Berichte über Hinterbliebene gibt, die ausbleibende Entschädigungszahlen beklagen, dürfte das Modell grundsätzlich funktionieren. Laut Wirtschaftsanalysten ist diese Form der Anwerbung ein Grund dafür, dass die russische Wirtschaft funktioniert, da in strukturschwachen Gebieten ein Anstieg der Kaufkraft zu sehen ist. Das führt allerdings zu einem aus russischer Sicht negativen Effekt: Aufgrund der Umstellung auf Kriegswirtschaft und die Vergrößerung der Streitkräfte kommt es vor allem im zivilen Sektor zu einem Arbeitskräftemangel.
Aus der Haft ins Feld
Die Absicht der russischen Behörden, im vergangenen Jahr 400.000 Vertragssoldaten einzustellen, ist seit einem Jahr bekannt. Ob das Ziel – wie der Kreml sagt – übertroffen wurde oder nicht, sei dahingestellt. Doch Russland hat noch eine weitere Möglichkeit der Rekrutierungen: die Gefängnisse. In neu gebildeten „Storm V“-Einheiten – Strafeinheiten, die meist als Kanonenfutter eingesetzt werden – sollen Ex-Häftlinge dienen, die bis zum Ende des Krieges keine Aussicht auf Begnadigung haben. Anders als früher, als Häftlinge nach sechs Monaten Kriegsdienst begnadigt wurden.
Im Oktober 2023 meldeten russische Behörden einen deutlichen Rückgang bei den Gefangenen auf 266.000 Personen. Das sind um 54.000 weniger als im Jänner 2023. Am Donnerstag schlossen zwei Straflager aus Personalmangel. Bisher sind laut Schätzungen 350.000 russische Soldaten gefallen oder wurden verwundet.
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