Laut den russischen Behörden ist die Antwort klar. Es sind fast immer Ukrainer, die die Ermittler – meist schon ein paar Stunden später – als Täter präsentieren. Seltener verhaften sie auch Russen, die von Ukrainern mit Geld oder Erpressung angestiftet worden sein sollen.
Ganz abwegig ist diese Darstellung nicht. Kiew bestreitet zwar offiziell stets jegliche Beteiligung, Regierungsberater insinuieren in den Sozialen Medien aber gern eine Mitverantwortung, oft mit leiser Ironie. „Es wäre nur verständlich, wenn die Ukraine das macht“, sagt auch Russland-Experte Sergej Sumlenny, Chef des European Resilience Center in Berlin. In einem Fall, einer Attacke in Grenznähe, sei eine Beteiligung ukrainischer Spezialkräfte jedenfalls auch unabhängig nachgewiesen worden, sagt er.
Partisanen im Netz
Daneben reklamieren auch mehrere Partisanengruppen Sprengstoffanschläge für sich. Die Gruppe Atesch, laut Eigenangabe in Russland lebende Ukrainer und Krimtataren, will Schriftsteller Prilepin in die Luft gesprengt haben. Die Nationale Republikanische Armee (NRA), eine radikale Truppe rund um den als dubios geltenden Ex-Duma-Abgeordneten Ilja Ponomarjow, hat sich zu den Attentaten auf Tatarskij und Dugina bekannt.
Nur: Ob es die tatsächlich gibt, ist unklar – sie existieren nämlich hauptsächlich in den Sozialen Medien. Selbiges gilt für die „Legion Freiheit Russland“, eine angebliche Truppe russischer Ex-Soldaten, die in der Ukraine gegen ihre ehemaligen Kameraden kämpft und in Russland Sabotageakte durchführt; sie will etwa einen eingemotteten Su-24-Bomber in Nowosibirsk in Brand gesetzt haben. „Hier ist viel Selbstvermarktung dabei“, sagt Sumlenny. „Echte Untergrundkämpfer sind nicht auf Twitter und Telegram. Das ist kein Beweis für einen organisierten Widerstand.“
Angst wächst
Für Putin und seine Eliten sind die Attentate dennoch von einer Tragweite, die man nicht unterschätzen sollte. Während es in den 1990ern und Anfang der 2000er in Russland normal war, dass Autos explodierten, sich verfeindete Gruppen auf der Straße gegenseitig terrorisierten, hat Putin die Gewalt aus der Öffentlichkeit weitgehend verbannen können. Das war ein Teil seiner Versprechen an die Bevölkerung.
Nun ist diese Gewalt, die er selbst in die Ukraine getragen hat, zurückgekehrt. Das hat Symbolkraft, bei den Bürgern ebenso wie bei allen, die von Putins Krieg profitieren – sie sind plötzlich ein potenzielles Ziel.
Dass es keine klare Zuordnung zu einer Terrorgruppe gibt, sorgt zusätzlich für Unsicherheit. Gerade die kleineren Anschläge, die Feuer bei Eisenbahn-Schaltschränken und Stellwerken, die Molotowcocktails auf Einberufungsbüros, könnten nämlich auch Russen durchgeführt haben, die die Kriegsbemühungen stoppen wollen. Denn die Ziele sind schlecht geschützt, die Feuer leicht zu legen. „Jeder, der Schaden anrichten will, könnte das machen“, sagt Sumlenny.
Auch für Kiew birgt das Ganze einen Vorteil. Präsident Selenskij hat sich immer dazu bekannt, russisches Territorium nicht anzugreifen, darum dementiert man ja jede Verwicklung. Für den Westen, der in einem solchen Fall seine Unterstützung wohl hinterfragen würde, behält man damit die weiße Weste. Für die eigene Moral ist aber schon die Möglichkeit, zu solchen Attentaten fähig zu sein, gut.
Dass die Ukraine das kann, hat sie in den besetzten Gebieten bewiesen. „Dort gibt es massive Netzwerke aus Bürgern, die mit Armee und Geheimdiensten kooperieren – das ist auch bestätigt“, sagt Sumlenny. Sie spähen Stellungen und Munitionslager aus, führen Sabotageakte durch. Der ukrainischen Armee hat das schon sehr geholfen: Nur so habe man das Gebiet Cherson zurückerobern können, sagte kürzlich ein ukrainischer General.
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