Russland-China-Expertin: "Dieser Krieg lenkt Europa und die USA ab"

Russlands Armee steht auf dem Schlachtfeld in der Ukraine nicht alleine da. China liefert sogenannte Dual-Use-Güter, Nordkorea schickte sogar mehr als 12.000 Soldaten in Putins Krieg. Manche Beobachter sehen das als Beweis für ein autokratisches Dreiecksbündnis.
Die US-Expertin Elizabeth Wishnick gehört nicht dazu. Am Rande eines Vortrags in Wien sprach sie mit dem KURIER über das aus ihrer Sicht nicht immer spannungsfreie Verhältnis zwischen China, Russland und Nordkorea.
KURIER: Chinas Außenminister Wang Yi gab kürzlich zu, dass China den Krieg in der Ukraine möglichst lange am Laufen halten will, damit sich die Militärindustrie in Europa und den USA nicht auf Asien konzentrieren kann. Was heißt das für die Beziehung zwischen China und Europa?
In Teilen Europas gab es vielleicht noch Hoffnung, dass China Russland nicht so klar unterstützt wie befürchtet. Jetzt, wo sie es zugegeben haben, ist endgültig klar: China ist in diesem Konflikt nicht neutral oder unparteiisch. Das hat natürlich Implikationen.
Zu Beginn des Krieges in der Ukraine gab es viele, die meinten, er würde mit Blick auf eine mögliche chinesische Invasion in Taiwan abschreckend wirken. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Dieser Krieg lenkt die Europäer und Amerikaner ab. Genau deshalb fordern einige innerhalb des US-Militärs inzwischen weniger Unterstützung für die Ukraine, weil sie glauben, dass sich die USA auf einen möglichen Konflikt um Taiwan konzentrieren sollten.
Der Zeitpunkt ist für China also gerade gut, selbst militärisch aktiv zu werden?
Wir sehen, dass China in den letzten Jahren immer wieder versucht, die roten Linien der USA und ihrer Verbündeten in Asien auszutesten. Zum Beispiel verschärfte sich der Konflikt mit den Philippinen im südchinesischen Meer, weil China dort einige unbewohnte Inseln beansprucht hat. Man versucht also, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen.
Letztlich wird der Krieg in der Ukraine aber nicht entscheidend für Chinas Vorgehen im Indopazifik sein. Gegenüber Taiwan könnte China jederzeit aktiv werden, sobald die politische Führung genug Vertrauen die eigenen militärischen Fähigkeiten hat und eine strategische Gelegenheit zu erkennen glaubt.

Elizabeth Wishnick forscht seit Jahrzehnten in den USA zum Verhältnis zwischen China und Russland.
Die US-Amerikanerin Elizabeth Wishnick ist eine der führenden Expertinnen zu den Beziehungen zwischen China und Russland. Aktuell forscht sie in Washington für die unabhängige, gemeinnützige Forschungs- und Analyseorganisation CNA sowie am Weatherhead Ostasien-Institut der Columbia University in New York.
Gab es seit Beginn des Ukraine-Kriegs eine Entwicklung in der Beziehung zwischen China und Russland, die Sie überrascht hat?
Ich war überrascht über die neue Nähe zwischen Nordkorea und Russland. Putin hat diese Allianz zwar schon vor Jahren wiederbelebt, nachdem sie in den 1990er-Jahren von russischer Seite aufgegeben worden war. Aber ich habe nicht erwartet, dass Nordkorea mit so großem Aufwand in diesen Krieg einsteigen würde.
Und daran stört sich China?
Ja, diese intensive Beteiligung Nordkoreas am russischen Krieg widerstrebt ganz grundsätzlich Chinas Interessen, weil es dadurch seine Vermittlerrolle auf der koreanischen Halbinsel verliert. Denn China hat noch immer enge wirtschaftliche Beziehungen zu Südkorea, von denen man sehr profitiert.
Jetzt ist aber Russland der primäre Partner für Nordkorea geworden. Das erhöht die Gefahr für Fehleinschätzungen: Das nordkoreanische Regime scheint neues Selbstbewusstsein gewonnen zu haben; auch weil man glaubt, sich im Ernstfall der Unterstützung Russlands sicher zu sein.
Für Südkorea und Japan erhöht das wiederum den Anreiz, zur Abschreckung militärisch noch enger mit den USA zu kooperien.
Ist die enge Partnerschaft zwischen China und Russland einzig ein Ergebnis der guten Beziehung zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping? Oder hätte sie auch unter möglichen Nachfolgern Bestand?
Putin und Xi tun alles, um ihre Freundschaft zu inszenieren: Sie machen zusammen Teigtaschen, trinken Tee, übergeben einander Geburtstagsgeschenke. Und sie haben einander mehr als 40 Mal besucht, es gibt also sicher eine gewisse Vertrautheit. Aber sie sprechen bis heute keine gemeinsame Sprache, brauchen ständig Übersetzer.

Xi Jinping und Wladimir Putin am Rande der diesjährigen Siegesparade in Moskau.
Ich glaube, dass beide diese Partnerschaft in erster Linie aus innenpolitischen Gründen gefestigt haben. Der erste ist die gemeinsame Grenze: Die mussten China und die Sowjetunion jahrzehntelang militärisch verstärken – das ist nicht mehr notwendig, wenn die Beziehung zwischen beiden Nationen gut ist.
Zweitens geht es um die Sicherheit des Regimes: Beide Staaten haben ähnliche, autoritäre Herrschaftssysteme, die sich ähnlichen Gefahren ausgesetzt sehen, vor allem dem wahrgenommenen Druck vonseiten westlicher Demokratien.
Es geht also weniger um Persönlichkeiten als um die Stabilität dieser autoritären Systeme. Wer auch immer Putin und Xi eines Tages ersetzen wird, wird ähnlich autoritär sein – und deshalb Interesse am Fortbestand dieser Partnerschaft haben.
Xi hat die staatliche Kontrolle in China enorm verschärft. Glauben Sie, dass Putins Herrschaftsstil ihm als Vorbild diente?
Ich denke, dass vor allem der Zusammenbruch der Sowjetunion als negatives Vorbild diente. Diese Entwicklung wird in China seit vielen Jahrzehnten intensiv untersucht. Und Xi scheint zum Schluss gekommen zu sein, dass man absolute Kontrolle über die eigene Partei haben muss, um zu verhindern, dass im eigenen Land Kräfte entstehen, die das Potenzial entwickeln können, das Regime zu stürzen.
Er folgt also nicht Putins Leitfaden; er will unbedingt eine Situation in China vermeiden, wie sie Putin einst in Russland geerbt hat.
Xi reißt die Macht im Staat also aus Angst vor dem Zusammenbruch des Regimes an sich?
Es mag merkwürdig erscheinen, weil Xi Jinping ja momentan scheinbar unbegrenzte politische Macht für einen unbegrenzten Zeitraum hat. Aber genau darin liegt die Unsicherheit des autoritären Regimes: Gerade, weil er als erster Parteichef seit Mao eine dritte Amtszeit angetreten und damit die jahrzehntelang gültigen Regeln des rechtmäßigen Machttransfers außer Kraft gesetzt hat, hat er auch die Möglichkeit dafür geschaffen, dass seine Herrschaft jederzeit enden könnte.
Also muss er ständig darauf vorbereitet sein, unerwartet herausgefordert zu werden. Es mag uns höchst unwahrscheinlich erscheinen, aber für Xi selbst ist das eine tägliche Bedrohungssituation.
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