Russischer Ökonom: "Putin wird diesen Krieg verlieren"

Wie lange wird Putin seinen Krieg gegen die Ukraine noch finanzieren können?
Wladislaw Inosemzew: Putins Drang, den Krieg fortzuführen, ist sehr groß, und finanziell könnte er ihn noch Jahre führen. Das russische Budget ist trotz Sanktionen gut aufgestellt, die Wirtschaft dank der Zentralbank gut auf die Situation eingestellt. Selbst im ersten Quartal 2022 gab es noch Überschüsse, und die im internationalen Vergleich äußerst geringen Staatsschulden können leicht um bis zu zehn Prozent erhöht werden. Auch der Krieg selbst kommt Russland nicht teuer: Jeder Monat kostet etwa zehn Milliarden Dollar, die 120 Milliarden Dollar, um diesen Krieg noch ein Jahr fortzusetzen, wären trotz Wirtschaftsflaute kein Problem. Zur Veranschaulichung: Die russischen Exporteinnahmen lagen 2021 bei 1,2 Milliarden Dollar – pro Tag.
Die russische Militärindustrie soll aber nicht genügend Ressourcen haben, um die Kriegsmaschinerie noch so lange am Laufen zu halten.
Der militärisch-industrielle Komplex ist tatsächlich sehr schlecht aufgestellt. Die Regierung hat in den letzten Jahren zwar sehr viel Geld zur Modernisierung in den Sektor gepumpt, dennoch ist die Menge an produzierten Waffen gering. Im Vergleich zur Sowjetzeit ist es gerade einmal ein Zehntel. Damit konnten die Russen in Syrien Krieg führen, aber ein großes stehendes Heer wie das der Ukraine zu besiegen, ist sehr schwer – wenn Russland ein Dutzend Panzer pro Tag verliert, können die nicht ersetzt werden. Dazu kommt, dass die Militärindustrie massiv abhängig von westlichen Komponenten ist, deshalb können keine Hochpräzisionswaffen produziert werden. Der Kreuzer „Moskwa“ ist mitunter genau deswegen gesunken: Man hat bei der Modernisierung des Schiffs versucht, beim Raketenabwehrsystem zu sparen.
Putin kann seinen Krieg also lange fortführen – er wird ihn aber trotzdem verlieren?
Er wird ihn verlieren, wenn der Kampfgeist der Ukrainer weiterhin so groß bleibt und wenn der Westen genügend Waffen liefert. Das gilt natürlich nur, wenn es zu keinem Nuklearschlag kommt – aber für mich stand und steht außer Zweifel, dass die Ukraine gewinnen wird. Selbst wenn Russland Kiew eingenommen hätte, hätten einige 100.000 russische Soldaten ein 44-Millionen-Land, das ihnen gegenüber so feindlich eingestellt ist, nicht halten können.
Auch in Putins Umfeld im Kreml gibt es angeblich mehr und mehr Unzufriedenheit.
Die große Mehrheit der Wirtschaftselite ist wegen der Sanktionen extrem unzufrieden, und auch die Russen selbst sind nicht zufrieden. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen Unzufriedenheit und Handeln. Dazu kommt, dass gewisse Oligarchen Putin zwar nahestehen, aber die Wirtschaftselite überhaupt keinen Einfluss auf ihn hat. Das ist auch mit ein Grund, warum die Sanktionen Putins Krieg nicht beenden. Im Gegenteil: Die Sanktionen gegen Abramowitsch, Fridman oder Deripaska machen ihn regelrecht glücklich. Er hat schon 2013 mit einer Kampagne alle Oligarchen aufgerufen, Geld aus dem Westen abzuziehen und in Russland zu investieren. Das forcierte er bis Kriegsbeginn. Jetzt müssen sich die, die ihm bisher nicht gehorchten, fügen, das freut ihn.
Könnte ihn jemand stürzen?
Dass die Eliten ihn von selbst stürzen, ist unvorstellbar. Damit sie revoltieren, muss der Westen Anreize setzen – etwa über ein internationales Tribunal, das Putin, (Verteidigungsminister) Schoigu, (Generalstabschef) Gerasimow und andere hochrangige Militärs wegen Kriegsverbrechen anklagt, aber den großen Teil der Elite ausspart. Das Versprechen an sie müsste lauten: Werden die Angeklagten an Den Haag ausgeliefert, würden die Sanktionen aufgehoben – das würde eine große Spaltung auslösen. Jene, die Putin für verrückt halten, ihr altes Leben zurückwollen, würden Putin wohl opfern. Das hat auch bei Slobodan Milošević funktioniert. Seine Freunde haben ihn nach Den Haag ausgeliefert.
Ist Putin Geschichte, wenn er den Krieg verliert?
Nein. Selbst wenn Putin militärisch besiegt wird, bleibt er vermutlich Präsident. Das ist dasselbe wie bei Saddam Hussein – er wurde 1991 besiegt, er blieb noch 13 Jahre an der Macht.
Und was passiert, wenn Putin tatsächlich abgesetzt wird? Bleibt Russland derselbe repressive Staat?
Russlands Geschichte ist geprägt von politischen Pendelbewegungen. Nach Stalin kam die Liberalisierung unter Chruschtschow, nach der reaktionären Ära Breschnews Gorbatschows Perestroika. Es ist daher absolut unmöglich, dass Putins Nachfolger noch reaktionärer ist als er. Wird er abgesetzt, kommt es sicherlich zu einer Zeit der Anarchie, weil es keinen designierten Nachfolger gibt. Niemand in der Elite ist aus eigener Kraft groß geworden, alle sind Günstlinge Putins. Dazu kommt, dass die Menschen keinen anderen Führer als Putin kennen. Geht er, werden viele verschiedene Koalitionen einander bekämpfen – und das ist nicht unbedingt schlecht: Während einer solchen Zeit ist es unmöglich, eine totalitäre Gesellschaft zu erhalten. Schlechter als unter Putin wird es sicher nicht.
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