Russland will Kontrolle über Konzerne, die das Land verlassen wollen

Companies suspend operations in Russia
Ein neues Gesetz soll dem Staat starke Zugriffsrechte auf westliche Firmen geben. Deren Abwanderung belastet die russische Wirtschaft.

Mit einem neuen Gesetz will Russland die Kontrolle von Geschäften westlicher Konzerne vor Ort verschärfen, die wegen des Ukraine-Kriegs das Land verlassen wollen. Das neue Gesetz, das innerhalb von Wochen in Kraft treten könnte, soll dem Staat umfangreiche Zugriffsrechte einräumen, wenn Arbeitsplätze oder Branchen bedroht sind.

Internationalen Unternehmen dürfte es damit noch schwerer werden, sich rasch von Aktivitäten in Russland zu trennen, es sei denn, sie wären bereit, hohe Verluste in Kauf zu nehmen. Der Schritt kommt zu einer Zeit, in der die russische Wirtschaft durch die westlichen Sanktionen immer mehr isoliert ist und einer schweren Rezession entgegensteuert.

Mit dem Gesetzesvorhaben reagiert Russland auf den Exodus internationaler Unternehmen wie Starbucks, McDonald's und dem Brauerei-Konzern AB InBev. Unter den deutschen DAX-Konzernen kündigte Siemens unlängst an, sich aus dem russischen Markt zurückzuziehen. Henkel will das Land ebenfalls verlassen und prüft derzeit zur Umsetzung des Beschlusses eine Reihe von Optionen für sein Russland-Geschäft, wie Henkel-Chef Carsten Knobel sagte. Beim Versicherungsriesen Allianz sagte Finanzchef Giulio Terzariol kürzlich, die Wahrscheinlichkeit sei sehr hoch, dass die Allianz Russland ganz verlasse.

Österreichische Firmen bleiben in Russland

Laut der Liste des Yale-Professors Jeffrey Sonnenfeld halten noch zahlreiche österreichische Unternehmen vorerst am Russland-Geschäft fest, darunter OMV, Palfinger, Raiffeisen Bank International (RBI), Red Bull und Wienerberger.

Das neue Gesetz soll dem russischen Staat ermöglichen, bei exoduswilligen Unternehmen, welche sich im Besitz von Ausländern aus "unfreundlichen Ländern" befinden, spezielle Administratoren einzusetzen. Moskau bezeichnet Länder dann als "unfreundlich", wenn sie Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt haben. Das bedeutet aber, dass praktisch alle russischen Geschäfte von Unternehmen aus Ländern der Europäischen Union oder den USA betroffen sind. Die EU-Kommission hatte am Mittwoch vorgeschlagen, Verstöße gegen die Sanktionen künftig europaweit zu einer Straftat zu machen.

Russische Politiker kritisieren es vehement, dass westliche Firmen dem Land wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine den Rücken kehren wollen. Eine besonders laute Stimme ist dabei der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew, jetzt stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrats. Für Medwedew sind solche westlichen Unternehmen "Feinde, die jetzt versuchen, unsere Entwicklung einzuschränken und unser Leben zu ruinieren."

FILE PHOTO: Deputy Chairman of Russia's Security Council Medvedev gives an interview outside Moscow

Dmitri Medwedew sieht in ausländischen Konzernen "Feinde".

Hinter dem Gesetz zur Beschlagnahme des Eigentums ausländischer Investoren steht Experten zufolge die Sorge um Jobs und um die Staatsfinanzen angesichts der Flucht westlicher Unternehmen. "Die Regierung ist daran interessiert, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen zu erhalten", sagt etwa Sergei Suchanow, Rechtsanwalt bei der Beraterfirma RSP International. Er glaubt, dass die Regierung die Regeln in erster Linie auf Großunternehmen anwenden wird. "Um einen Administrator zu vermeiden, müssen Unternehmen zeigen, dass sie ihre russischen Geschäfte nicht im Stich lassen," führte er aus.

Gesetz macht gezielten Verkauf an Russen möglich

Laut Ulf Schneider, Berater für deutsche Unternehmen in Russland und Experte für die Region beim deutschen Mittelstandsverband BVMW, arbeiten er und andere Experten derzeit an Vorschlägen, die es Unternehmen ermöglichen sollen, die Kontrolle freiwillig an einen Treuhänder ihrer Wahl zu übergeben. Dies könnte Russland davon überzeugen, dass die Unternehmen verantwortlich handelten, während sie sich gleichzeitig distanzieren könnten. Ein Verkauf sei auch eine Option, aber die Bedingungen dafür seien derzeit nicht gut, sagt Schneider.

In dem Gesetzesentwurf wird ausgeführt, wie Russland einen Verwalter für Unternehmen ernennen könnte, bei denen mindestens 25 Prozent der Anteile im Besitz "unfreundlicher" Ausländer sind. Dabei wird zugleich eine Bandbreite an Kriterien für eine Intervention vorgestellt. Dazu gehört etwa der Fall, dass ein Unternehmen ein zentraler lokaler Arbeitgeber ist oder wichtige Dienstleistungen erbringt. Klar gemacht wird, dass der Staat aus vielen Gründen einen Zugriff rechtfertigen kann. Als Beispiel werden etwa Unternehmen genannt, die Medizinprodukte herstellen. Aber auch eine Vielzahl anderer Branchen wie Transport und Energie werden aufgeführt.

Der von vom Staat bestellte Administrator könnte dem Entwurf zufolge auch das beschlagnahmte Geschäft verkaufen. Zugleich wären seine früheren Eigentümer von Geschäften in Russland ausgeschlossen. Die erste Lesung im Unterhaus, der Duma, hat der Gesetzesentwurf bereits genommen. Zwei weitere Lesungen stehen noch bevor, auch das Oberhaus muss noch eingeschaltet werden, bevor das Gesetz von Präsident Wladimir Putin unterzeichnet wird. Dies könnte noch einige Wochen in Anspruch nehmen.

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