Jorge Perlingeiro (78), seit 50 Jahren in verschiedenen Funktionen des Karnevals in Rio tätig, ist der Chef der Liga der unabhängigen Samba-Schulen (LIESA). Und die werden heuer alle Register ziehen, um die dunklen Jahre vergessen zu machen.
„Wir hatten im April letzten Jahres einen Karneval, außerhalb der Saison nachgeholt. Es waren aber fast keine Ausländer da. Es war eher ein lokaler Karneval von Rio, doch er war gut, mit einem schönen Spektakel der Schulen“, freute sich der alte Karneval-„Hase“. Aber eben doch nicht so wie vor der Pandemie, fügt er hinzu.
„In diesem Jahr werden wir im Sambodromo Sapucaí das größte Publikum aller Zeiten und aller Karnevalsjahre haben. Wir werden die Zahl von 100.000 Menschen pro Nacht überschreiten“, kündigt Perlingeiro im Gespräch mit dem KURIER an. „Die Welt ist zurück im Sambodromo von Rio.“
Nervöser ist Alexandre Louzada (68). Er ist „Carnavaleso“ der Sambaschule Beija-Flor, die zu den erfolgreichsten und populärsten der Stadt zählt. Louzada ist damit so etwas wie der Generalmanager, künstlerische Direktor und Geist des Ensembles. Beija-Flor tritt am Wochenende in der ersten Liga, der Champions League der Sambaschulen auf, die mit riesigen Wagen, fantastischen Kostümen und Samba-Stars um die Meisterschaft kämpfen.
Das ist ein knallharter Wettbewerb um Anerkennung, Punkte und Fördergelder. Doch es geht um mehr, es geht auch um die Identität des Spektakels. Dazu zählt, dass nichts vorher nach außen dringen darf. Fotos von den Wagen sind streng verboten.
„Eines der Geheimnisse ist, dass alles geheim bleibt und damit Überraschungen möglich sind“, sagt Louzada. „Ja, ich bin nervös. Denn es steht einiges auf dem Spiel. Wir wollen gut abschneiden, und ich bin dafür verantwortlich.“ Geht ein Auftritt in die Hose, werden „Carnavalesos“ auch schon mal gefeuert.
Der Karneval in Rio war schon immer mehr als nur nackte Haut und knappe Kostüme, wie er vielleicht in Europa wahrgenommen wird. „Heute ist Karneval auch eine politische Sache. Und Beija-Flor ist eine Schule, die sich sehr für ihre Gemeinschaft einsetzt, wenn sie Probleme hat.“ So geht es im Titelsong von Beija-Flor um einen Eingeborenen, der einen Drachen tötet – eine Metapher dafür, dass die Brasilianer jeden Tag einen Drachen töten müssten, um zu überleben, sagt Louzada.
Er ist überzeugt, dass der brasilianische Karneval, der nicht nur in Rio de Janeiro gefeiert wird, die Kraft hat, die gespaltene und zerstrittene Gesellschaft miteinander zu versöhnen. „Wir verwenden die brasilianische Flagge, die den Reichtum des Landes repräsentiert, und schlagen vor, eine Nation mit all ihrer Pluralität zusammenzuführen“, verrät er dann doch ein bisschen. „Mit all ihren ethnischen Gruppen, all ihren Rechten, ihrer Bildung, ihrer Gesundheit und der Art von Brasilien, die wir uns alle wünschen.“
Am Freitag und Samstag beginnen die Umzüge der zweiten Liga. Am Sonntag und Montag strömen dann Zehntausende pro Abend ins Sambodromo – wenn die erste Liga am Start ist.
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