Rechtsruck in Italien: Womit Europa jetzt rechnen muss
Italien hat gewählt. Und diesmal eindeutig. Das Rechts-Mitte-Bündnis unter Giorgia Meloni hat mit 43 Prozent der Stimmen am Sonntag klar gewonnen und das Mitte-Links-Lager mit rund 26 Prozent weit hinter sich gelassen.
Die postfaschistischen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) sind künftig mit über 26 Prozent der Stimmen die stärkste Kraft im Parlament - und ihre Vorsitzende Meloni wird mit größter Wahrscheinlichkeit Italiens erste Regierungschefin.
Welche Folgen hat der Rechtsruck für Italien - und für die EU? Der KURIER beantwortet die fünf drängendsten Fragen.
Wird sich Italien zu den EU-skeptischen Ländern Ungarn und Polen gesellen?
Eine Antwort auf diese Frage hat Meloni in der Nacht auf Montag gegeben: „Jetzt heißt es Verantwortung zu übernehmen und zu beweisen, dass wir dieser gewachsen sind. Wenn wir Teil der Geschichte werden wollen, muss man sich der Verantwortung gegenüber zig Millionen Menschen bewusst sein.“ - Worte, die ein klares, beruhigendes Signal Brüssel gegenüber sein sollten.
Brüssel weiß aber, dass es nun mit einem weiteren nationalistischen Land zu kämpfen haben wird. Mehrmals hat Meloni in den vergangenen Wochen die EU gemahnt: „Jetzt ist Schluss mit lustig“. Und dieser Ansage wird sie treu bleiben.
Besonders Berlin und Paris müssen sich auf Konfrontationen einstellen, denn „Italien will in Zukunft gleichwertiges Mitglied sein“ und nicht mehr ein Anhängsel dieser zwei Staaten. Außerdem fordert sie das Hoheitsrecht der italienischen Gesetzgebung gegenüber dem der EU.
Wird Italien seine Finanzen unter Kontrolle behalten?
Italien braucht das Geld aus dem Europäischen Wiederaufbaufonds, der infolge der Corona-Pandemie eingerichtet wurde. Italien ist das Land, dem mit fast 200 Milliarden Euro der größte Betrag zukommt.
Dass die nationalpopulistische Lega nach den Wahlen bei unter 9 Prozent liegt, gibt Meloni in der geplanten Koalition eine große Beinfreiheit. Sie verlangt zwar eine Revision des Wiederaufbaufonds, weiß aber auch, dass sie mit Brüssel nicht auf Konfrontationskurs gehen darf. Die Finanzmärkte würden sie dafür bestrafen. Sie wird alles daran setzen, die Finanzen unter Kontrolle zu behalten.
Die Forderung des Lega-Chefs Matteo Salvini nach einer umgehenden Neuverschuldung und einer Einheitssteuer von 15 Prozent für alle - Maßnahmen, mit denen sich Italien noch mehr verschulden würde - wird es nicht geben.
Schon seit geraumer Zeit sieht Meloni sich nach einem geeigneten Wirtschaftsminister um, in diesem Fall einem Technokraten, der auch von Brüssel gutgeheißen werden kann.
Wird sich Italiens Haltung zum Ukraine-Krieg ändern?
Meloni hat von der Opposition aus alle Waffenlieferungsbeschlüsse an die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland unterstützt. Sie steht auch ohne wenn und aber hinter der NATO. Ihr Verhältnis zu den USA, beziehungsweise zum rechten Flügel der Republikaner ist sehr eng.
Zwar hatte Meloni in der Vergangenheit auch eine gute Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, wobei es ihr in erster Linie um dessen Wertvorstellungen Vaterland, Familie, Tradition ging. Den Angriff Russlands auf die Ukraine hat sie aber von aller Anfang an verurteilt und - anders als ihre Bündnispartner Salvini und Silvio Berlusconi - nie doppeldeutige Aussagen dazu gemacht.
Welche Rolle werden Salvini und Berlusconi in der Regierung spielen?
Dass die Lega nur 8,93 Prozent der Stimmen bekommen hat und Ex-Premier Berlusconi mit seiner Forza Italia nur 8,28 Prozent, gibt Meloni einen gewissen Handlungsraum.
Trotzdem wird großes Vermittlungsvermögen gefragt sein. Denn Berlusconi hatte schon vor den Wahlen wissen lassen, seine Partei stehe für einen eindeutig Pro-EU-Kurs, „und sollten die Herrschaften, unsere Verbündete, in die ich volles Vertrauen habe, eine andere Richtung einschlagen, dann sind wir raus“. Ohne Berlusconis Partei könnte die Koalition kippen.
Die große Frage, die jetzt im Raum steht, ist, wie sich die Lega, beziehungsweise Matteo Salvini, verhalten wird - vorausgesetzt, er wird weiter die Partei führen. Was angesichts des Wahlergebnisses nicht sicher ist.
Ist der italienische Rechtsstaat in Gefahr?
Das ist die Frage, die Melonis Gegner umtreibt. Der Chef der Demokratischen Partei, Enrico Letta, hat im Wahlkampf vor allem darauf gesetzt, die Italiener vor den Folgen einer rechten Regierung zu warnen. Eine Zeit lang bediente er sich auch einer bildlichen Darstellung, schwarz für das rechte Lager, rot für seins. Das Gespenst des Postfaschismus hat die Wähler aber nicht beeindruckt. Zu ideologisch, zu fern von den Alltagssorgen: den explodierenden Energiepreisen, der steigenden Inflation.
Außerdem hat die Demokratische Partei in den letzten elf Jahren fast immer regiert. Sie hätte genug Zeit gehabt, die Versprechen, die sie jetzt im Wahlkampf gegeben hat, umzusetzen.
Die ersten Folgen einer Rechts-Mitte-Regierung werden sich wahrscheinlich gesellschaftlich zeigen, zum Beispiel was Immigration betrifft oder Zivilrechte. Geplante Gesetze wie jenes, das ausländischen Kindern nach der Grundschule die italienische Staatsbürgerschaft gewähren sollte, oder jenes gegen Diskriminierung der LGBTQ-Gemeinschaft werden nicht kommen. Und auch Schwangerschaftsabbrüche könnten schwieriger werden. Hier könnte sich Italien der Politik des ungarischen Premiers Victor Orbán nähern.
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