Puigdemonts Wille: "Ein freies Land gründen"

Befürworter der Unabhängigkeit feiern.
Die Separatisten trotzen ihrer Entmachtung. Dem Ex-Regionalpräsidenten drohen 30 Jahre Haft. Eine Reportage aus Barcelona.

Den ganzen Tag war auf seine Reaktion gewartet worden, und was Carles Puigdemont dann Samstagnachmittag mitteilte, klang nicht so, als würde er klein beigeben. "Unser Wille ist es, weiter zu arbeiten, auch in Kenntnis der aktuellen Schwierigkeiten", gab sich der von Madrid abgesetzte katalanische Regionalpräsident kämpferisch. Es sei weiter das Ziel, "ein freies Land" zu gründen. Aber man müsse "Ruhe bewahren" und den Zwangsmaßnahmen aus Madrid "demokratisch und ohne Gewalt" entgegentreten.

"Mächtigste Frau"

Mit Puigdemont wurde gestern früh die gesamte katalanische Führung entmachtet. Die Regierungsgeschäfte soll nun die spanische Vizepremierministerin Soraya Saenz de Santamaria führen, die Medien als "mächtigste Frau Spaniens" bezeichnen.

Auch die Chefs der regionalen Polizeieinheit Mossos d’Esquadra, Pere Solere und Josep Lluis Trapero, mussten ihre Sessel räumen. Trapero gilt wegen seines Einsatzes nach dem Anschlag in Barcelona im August und der Zurückhaltung seiner Einheit während des Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober als katalanischer Held.

"Republik Katalonien"

Am Freitagabend, nur wenige Stunden vor Puigdemonts Entmachtung, hatten Erwachsene einander weinend umarmt und Studenten minutenlang über die "Geburt" der Republik Katalonien gejubelt.

Puigdemonts Wille: "Ein freies Land gründen"
Catalan regional police stand guard the morning after the Catalan regional parliament declared independence from Spain in Barcelona, Spain, October 28, 2017. REUTERS/Yves Herman
Die Stimmung war explodiert, als die katalanische Parlamentspräsidentin Carme Forcadell mit heiserer Stimme das Ergebnis der Abstimmung über die Unabhängigkeit verkündet und den Tausenden Menschen vor dem Parlamentsgebäude in Barcelona die Zukunft in einem "freien und sozialen Staat" verheißen hatte. Mit 70 Ja- gegen 10 Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen hatten die Abgeordneten für die Trennung von Spanien votiert. Zuvor hatte die Opposition unter "Putsch"-Rufen den Plenarsaal verlassen.

Der Weg vom Parc de la Ciutadella in Richtung Innenstadt wurde dann für die Separatisten zum Triumphzug.

Eloi, ein 43-jähriger Diplomingenieur aus Hospitalet steht gemeinsam mit seinem Freund Albert vor dem Regierungspalast an der Plaça Sant Jaume. "Ich wurde von meinen Eltern als Nationalist erzogen. Sie hatten unter der Franco-Diktatur zu leiden. Heute möchte ich ihnen das historische Ereignis und unsere neue Republik widmen", sagt Eloi, inzwischen auch mit glänzenden Augen.

Neuwahl im Dezember

In Sprechchören wird Puigdemont immer wieder zugerufen, sich am Balkon des Regierungspalastes zu zeigen. Der 54-Jährige hat andere Sorgen. In Madrid steht zu dieser Stunde schon Premier Mariano Rajoy vor der Presse und verkündet die vom Senat unter dem Verfassungsparagrafen 155 abgesegneten Zwangsmaßnahmen: Absetzung Puigdemonts und des gesamten Kabinetts, Auflösung des Parlaments, Schließung aller katalanischen Auslandsvertretungen, darunter die in Wien, und Neuwahlen am 21. Dezember. Der Wahlkampf soll am 5. Dezember starten, wobei unklar ist, ob sich Puigdemonts Partei beteiligt.

"Spanien hat uns nie verstanden", klagt Eloi, "unser Volk hat sich von den Kastiliern immer unterdrückt gefühlt. Wir wollen endlich frei sein." Eloi fällt in die Rufe der rund 10.000 Demonstranten ein, Spaniens Flagge doch endlich vom Dach des Regierungssitzes zu holen. In Girona, wo Puigdemont von 2011 bis 2016 Bürgermeister war, bevor er die Minderheitsregierung mit dem Versprechen übernahm, Katalonien von Spanien zu trennen, hatte man die verhasste Fahne schon vom Rathaus geholt.

"Rebellion"

Am Freitag hatte Puigdemont seinen Anhängern mitgegeben, am Wochenende nicht zu demonstrieren, sondern "sich auszuruhen und Kräfte zu sammeln": es stünde eine anstrengende Woche bevor.

Offen war gestern sowohl, wie sich die katalanischen Behörden und die Regionalpolizei gegenüber der von Madrid eingesetzten Führung verhalten würden, als auch, wie es mit Puigdemont weitergeht. Die spanische Generalstaatsanwaltschaft kündigte an, Anklage wegen "Rebellion" zu erheben. Darauf stehen bis zu 30 Jahre Haft.

Mitarbeit: Irene Thierjung

Josef Manola (ORF) über die Lage in Katalonien

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