Präsidentenwahlen im Iran: Jugend ohne Hoffnung
„Wer wird wohl Präsident werden?“, lautet die Scherzfrage, die unter jungen Iranern derzeit reihum geht: „Ebrahim Raisi oder Sayyid Ebrahim Raisol-Sadati?“ Der zweite Name ist nichts anderes als die ellenlange, offizielle Version des ersten. Schließlich gilt der Sieger bei den Präsidentenwahlen heute, Freitag, für die meisten ohnehin als ausgemacht.
Irans Wächterrat, das mächtigste Gremium des Mullah-Regimes gleich nach dem religiösen Führer Ali Khamenei, hat vorsorglich alle Kandidaten aussortiert, die Raisi wirklich gefährlich werden könnten. Weder die gemäßigten Kandidaten, die die Linie des bisherigen Präsidenten Hassan Rohani fortsetzen könnten, noch konservative Populisten wie Ex-Präsident Mahmud Ahmadinejad, bekamen Platz auf dem Wahlzettel. Die übrig gebliebenen Gegenkandidaten sind allesamt ebenso schwach wie politisch auf Linie des religiösen Führers – und damit auf Kollisionskurs mit dem Westen.
Raisis Sieg scheint damit nicht nur ungefährdet, sondern auch nur ein weiterer Schritt für den 60-Jährigen, der ohnehin bereits als einer der mächtigsten Männer des Landes und enger Vertrauter Khameneis gilt.
Derzeit Chef der iranischen Justiz, wird er auch schon als möglicher Nachfolger für den inzwischen 82-jährigen und sichtlich gebrechlichen Khamenei gehandelt. Der war schließlich vorher auch Staatspräsident.
Angst vor der Apathie
Das Problem des Regimes aber ist die Resignation, mit der vor allem junge Iraner mehr als 30 Jahre nach der Revolution der Politik begegnen. Seit Jahren steckt das Land in einer Wirtschaftskrise, die nicht nur durch die Wirtschaftssanktionen des Westens immer tiefer wird, sondern auch durch die grassierende Korruption, die im Umfeld des allmächtigen religiösen Führers und seiner Vertrauten herrscht.
Schon bei den Parlamentswahlen im Vorjahr ging vor allem in den Städten kaum jemand zur Wahl. Die Beteiligung, die inoffiziell bei lächerlichen 20 Prozent lag, wurde mit allen Mitteln auf 40 Prozent geschraubt. Ähnliches droht bei der Präsidentschaftswahl. Laut aktuellen Umfragen erwägen gerade einmal 40 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt teilzunehmen. 43 Prozent haben das definitiv ausgeschlossen
Deshalb versucht die Führung, die Menschen mithilfe von sanftem Druck an die Wahlurne zu bekommen. Ein Stempel im Personalausweis wird die Wahlteilnahme dokumentieren. Wer ihn nicht hat, so wird in konservativen Medien immer wieder berichtet, könnte auch am Arbeitsplatz Nachteile haben. Außerdem predigen bekannte Kleriker öffentlich, dass es „eine religiöse und eine islamische Pflicht“ sei, wählen zu gehen. Das Interesse an der Wahl haben diese Interventionen aber nicht geweckt. Drei TV-Debatten absolvierten die Kandidaten. Rekordhöhe erreichten nur die Abschaltquoten.
Bei den Wahlen vor vier Jahren hatten die Konservativen die jungen liberalen Iraner zuletzt noch einmal hinter dem gemäßigten Präsidenten Rohani vereinen können. Mit so einem Effekt aber wird diesmal nicht mehr gerechnet. „Die Menschen haben genug davon, sich zuletzt für das geringere Übel zu entscheiden“, erzählt etwa Mahmoud, ein resignierter liberaler Teheraner der Nachrichtenplattform Middleeasteye. Dieses Spiel funktioniere nicht mehr. Auch gebe es diesmal keine vernünftige Alternative. Noch deutlicher macht diese Apathie der Leitspruch vieler junger Iraner, der trotz Zensur auch in den sozialen Medien kursiert: „Ob ich wählen gehe? Auf keinen Fall.“
Auf der Straße, im Gespräch mit ausländischen Reportern und im Schutz der Anonymität, macht so mancher seiner Verzweiflung Luft: „Wozu sollen wir überhaupt wählen? Wir sind so viele Jahre zu den Urnen gegangen. Hat sich irgendwas geändert?“
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