Von Inzidenz 900 auf 30: Das Wunder von Portugal
Einfach nur in einem Café in der Sonne sitzen und aufs Meer schauen - das allein sei nach den Monaten im harten Lockdown schon ein Genuss, erzählt eine Lissabonerin. Seit Ostermontag ist dieses Glück den Portugiesen wieder beschieden. Aber nach besonders harten Einschränkungen zu Ostern und auch jetzt nur mit Maß und Ziel.
Höchstens vier Personen dürfen an einem Tisch in Straßencafés und auf Restaurantterrassen sitzen. Sperrstunde unter der Woche ist 22.30 Uhr, am Wochenende sperren die Lokale überhaupt gleich wieder um 13 Uhr.
Es sind die ersten Schritte wieder in die Freiheit.
Zudem dürfen Kinder bis 15 Jahren wieder in den Schulen unterrichtet werden, kleinere Geschäfte mit bis zu 200 Quadratmetern und auch Museen sind wieder geöffnet. Tennisplätze im Freien und Golfplätze dürfen unter strengen Vorsichtsmaßnahmen ebenfalls wieder bespielt werden. Der Zwang zum Homeoffice bleibt allerdings noch. Vorsicht bleibt das Gebot der Stunde.
Vorsichtige Öffnung
„Die Öffnung muss sehr vorsichtig geschehen“, warnte Portugals Regierungschef Antonio Costa seine Landsleute. „Wir können kein Risiko eingehen, und wir dürfen das Erreichte nicht aufs Spiel setzen", drängt er seine neun Millionen Einwohner zu größter Vorsicht.
Vor allem die Urlaubsregion entlang der Algarve und die Ferieninsel Madeira machen sich Sorgen, dass das "Wunder von Portugal" nur von kurzer Dauer sein könnte.
Ein "Wunder"? Die Zahlen sprechen für sich: Mitte Jänner hatte Portugal mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von fast 900 Fällen pro 100.000 Einwohner eine der höchsten Ansteckungsraten der Welt. Täglich gab es mehr als 13.000 Neuinfektionen und 300 Covid-Todesopfer. Die Intensivstationen waren zu 94 Prozent voll. Das Gesundheitssystem kollabierte. Die Leichenhallen waren überfüllt.
Nach einem Hilfeschrei der Regierung eilten deutsche Ärzte und Sanitäter der Bundeswehr nach Lissabon. Österreich übernahm wie auch Spanien schwerkranke Covid-Patienten.
Inzidenz unter 30
Und heute? Mit einem Sieben-Tage Inzidenzwert unter 30 steht Portugal nach Island am besten von allen europäischen Staaten dar. Die Kehrtwende gelang dank eines knallharten landesweiten Lockdown. So gut wie alles - außer Supermärkte - wurde dicht gemacht. Nur in unmittelbarer Nähe der Wohnung durfte man kurz spazieren gehen oder Lebensmittel einkaufen.
Sonst galt eine 24-Stunden-Ausgangsperre, Unternehmen wurden verpflichtete, Homeoffice anzubieten. Und die Polizei kontrollierte die Einhaltung der Regeln sehr streng. Auch Ein- und Ausreisen wurden für zwei Wochen komplett verboten. Auch jetzt noch bedarf es eines triftigen Grundes, um nach Portugal reisen oder ausreisen zu dürfen.
Der nationale Kraftakt zeigte jedoch Wirkung. Jetzt atmen die Portugiesen wieder auf. Läuft alles weiter so gut wie erhofft, dann sollen Mitte April Kinos und Theater ihre Tore wieder öffnen dürfen. Und Anfang Mai Restaurants und Cafés auch in den Innenräumen bis zu sechs Gäste an einem Tisch bewirten dürfen. Auch weitere Lockerungen und Freiheiten sollen im Mai folgen.
Achtsam bleiben
Aber Präsident Marcelo Rebelo de Sousa mahnt dennoch, "achtsam" zu sein: "In vielen Ländern in Europa steigen die Zahlen, in vielen herrscht weiterhin ein harter Lockdown und man spricht von der vierten Welle", sagt er und hämmert seinen Landsleuten die Abstandsregeln und das Masken-Tragen ein: "Wir müssen alles daran setzen, die vierte Welle zu verhindern."
Ein eigenes Ampelsystem soll dabei helfen. Die knapp 20 Gemeinden, die nach Ostern eine Inzidenz von über 60 hatten, stehen besonders unter Beobachtung: Bleibt der Wert in den nächsten zwei Wochen dort so hoch, dann gibt es dort keine weiteren Lockerungsschritte.
Und wie sieht es mit dem Impfen aus? Knapp 13 Prozent der Portugiesen haben bisher zumindest eine Impfdosis erhalten. Im Laufe des April soll das Tempo auf bis zu 100.000 Impfungen am Tag gesteigert werden.
Das Notkrankenhaus, das in der ärgsten Covid-Not in einer ehemaligen Kampfsporthalle der Uni Lissabon errichtet wurde, fungiert jetzt als größtes Impfzentrum der Hauptstadt. "Wir brauchen diese Halle jetzt nicht mehr, um Covid-Patienten zu versorgen, sondern wir nutzen sie für genau das Gegenteil: Wir sorgen für Prävention", erzählte die Ärztin Eunice Caracico der Deutschen Welle. "Wir impfen immer mehr Menschen, auch damit wir nicht mehr eine so kritische Phase erleben müssen wie noch vor ein paar Wochen."
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