Wenn die Bratwurst politisch wird
Herr Alexander, Sie sammeln Bilder von Politikern, die in Bratwürste beißen. Wie sind Sie darauf gekommen?
Constantin Alexander: Ich interessiere mich für die Symbolik von Macht. Also welche Zeichen verwendet ein Politiker, um sich und seine Ideen darzustellen. Mir ist dann aufgefallen, dass es ein Symbol gibt, mit dem sich Politiker in Deutschland immer wieder fotografieren lassen: der Bratwurst. Also habe ich einen Blog gestartet und nach Bildern gesucht, auf denen Menschen in Bratwürste beißen. Ich bin auf eine schier unglaubliche Menge an Fotos gestoßen: Es gibt von fast jedem deutschen Volkspolitiker ein Bild mit einer Bratwurst.
Warum ist es ausgerechnet die Bratwurst, die in Deutschland politisch wird?
Zuerst einmal ist die Bratwurst klassenlos: Es gibt sie am Bahnhofsimbiss für wenig Geld, als Bio-Version im Ökorestaurant, aber auch auf Sylt in Nobelbistros. In Deutschland gibt es nahezu keine Kantine oder Mensa wo sie nicht mindestens einmal in der Woche auf der Karte steht. Sie ist ein Volksgericht. Nicht umsonst denken viele Menschen im Ausland bei Deutschland sofort an Würste und Bier.
Wenn ein Politiker also auf einer Wahlveranstaltung oder ähnlichem eine Bratwurst gereicht bekommt, dann muss er oder sie da reinbeißen - auch wenn man keine gute Figur macht. Sonst denken viele: Der hält sich für etwas Besseres und will nicht das essen, was wir essen.
Inwiefern wird keine gute Figur gemacht?
Es ist einfach unmöglich, würdevoll in eine Bratwurst zu beißen. Sie sind heiß, fettig und haben eine phallische Form. Man darf also weder zu zaghaft, noch zu aggressiv reinbeißen, sonst verbrennt man sich, oder es sieht einfach scheiße aus. Solche Bilder wollen Politiker eigentlich nicht haben. Sie können sie aber schlecht verhindern.
"Es gibt Bilder von Edmund Stoiber oder Guido Westerwelle, auf denen kann man klar erkennen: Die fühlen sich nicht wohl mit der Wurst."
Kommt ein Politiker den Deutschen tatsächlich mit einer Bratwurst näher?
Das kommt darauf an. Wenn die Person nicht glücklich beim Bratwurst-Beißen aussieht, dann wirkt das aufgesetzt. Es gibt Bilder von Edmund Stoiber, Horst Seehofer oder Guido Westerwelle, auf denen kann man klar erkennen: Die fühlen sich nicht wohl mit der Wurst. Vielleicht essen die privat ja was ganz anderes. Das wirkt dann geheuchelt, wird aber von Medien und auch vom Volk verlangt. Es ist wie eine Art Test, bei dem der Politiker nie ganz gewinnen kann.
Als Alternative dazu - vor allen bei grünen Spitzenpolitikern - wurde in den vergangenen Jahren der Döner Kebab. Döner gilt als urban, multikulturell und modern. Dass es sich auch nur schwierig essen lässt, ist dabei eine lustige Parallele. Auch Angela Merkel weiß das: Es gibt zahlreiche Döner-Bilder von ihr, aber sie isst eher einen Döner-Teller als ein Sandwich.
Was für eine Botschaft übermitteln Politiker damit?
Vor allem Kompetenz und oft auch Humor. Sie müssen sich vorstellen, dass diese Veranstaltungen, auf denen die Politiker beim Bratwurstessen fotografiert werden, durchchoreographiert sind. Die Assistenten wissen schon oft vorab, wer begrüßt werden muss, wo der oder die Politikerin anhält, mit wem sie länger als ein paar Worte redet. Kommt jetzt der Bratwurst-Moment, begibt sich der Politiker in eine Zone, die er nicht zu hundert Prozent kontrollieren kann. Scheitert er am souveränen Bratwurst-Beißen, dann gibt es davon für immer Fotos, die auch sofort ins Internet gehen oder am nächsten Tag in die Zeitung.
Welcher Politiker beherrscht das Bratwurstessen besonders meisterhaft?
Beim deutschen Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder sieht es mit am authentischsten aus. Das passt aber auch zu dem Image, das er sich selbst gegeben hat: Der Mann, der sich von ganz unten hochgearbeitet hat. Angela Merkel wird über die Jahre als Wurstbeißerin immer besser. Ihr direkter Konkurrent bei der diesjährigen Bundestagswahl, Peer Steinbrück, dagegen ist fast nie beim Bratwurstessen zu sehen.
Gibt es international ähnliche Symbole im Wahlkampf wie die Bratwurst?
Im US-Wahlkampf z.B.: gibt es Bilder von Obama, auf denen er in nahezu jede Art von Fast Food beißt: Pizza, Hamburger, Hot Dog, Burrito. Von Romney gab es das auch, außer von Lebensmitteln wie Tacos, die eher den Latinos zugeordnet werden. Die stellen in der republikanischen Rhetorik ja die Illegalen, die Zuwanderer dar. Das würde wohl die eigene Wählerschaft vergrätzen.
Auch in Deutschland gibt es regionale Variationen: Currywurst in Berlin, Fischbrötchen in Bremen oder Hamburg, Leberkäse in Bayern. Ich würde behaupten, jedes Land oder jede Region hat ein Lebensmittel, das Politiker in der Öffentlichkeit essen müssen.
Beim Suchen nach österreichischen Äquivalenten bin ich vor allem auf Bilder von biertrinkenden Politikern gestoßen. Was zeigt uns das?
Bier ist natürlich immer ein gesellschaftlicher Schmierstoff. Im Idealfall ist es lokal produziert, zeigt die handwerklichen Fähigkeiten und die Tradition einer Region. Gleichzeitig zeigt ein Politiker so, dass er entspannt genug ist, auch mal Alkohol zu trinken und "sich gehen zu lassen". Das wirkt authentisch.
Constantin Alexander ist Politikwissenschaftler, Journalist und Musiker. Er lebt und arbeitet in Hannover und Berlin. Auf seinem peoplebitingintobratwurst-Blog sammelt er Bilder von Menschen, die in Bratwürste beißen.
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