Wie ein ultrarechter TikTok-Star den Wahlkampf in Polen aufmischt

Mentzen
Präsident Duda macht es Tusks Regierung schwer, ihre Versprechen umzusetzen. Ein Rechtsradikaler verkompliziert die Wahl seines Nachfolgers.

Experten hatten lange einen klaren Zweikampf der etablierten Lager erwartet. Aktuell sieht es aber so aus, als könnte neben dem liberal-konservativen Warschauer Bürgermeister, Rafał Trzaskowski, und dem Historiker Karol Nawrocki, Kandidat der nationalkonservativen PiS-Partei („Recht und Gerechtigkeit), zumindest theoretisch noch jemand nächster polnischer Präsident werden: Sławomir Mentzen von der ultrarechten, radikalen Konfederacja. Die erste Runde steht am 18. Mai an.

Der 38-jährige Ökonom, Steuerberater und Bierbrauer Mentzen gehört zu jenen Rechtsextremen, die – wie etwa der junge RN-Hoffnungsträger Jordan Bardella in Frankreich oder der von den ebenfalls im Mai stattfindenden rumänischen Präsidentenwahlen ausgeschlossene Kremlfreund Călin Georgescu – auf  TikTok mit kontroversen, oft von der Plattform bevorzugt verbreiteten Inhalten zu politischen Stars avancieren.

Auch Mentzen dürfte so wohl besonders junge Wähler begeistern. Die Wahlumfragen sind in Polen gerade bei der Präsidentenwahl mit Vorsicht zu genießen, sie gestehen ihm aber unerwartet gute Chancen zu, in die Stichwahl einzuziehen. Er liegt in diesen hinter Nawrocki auf dem dritten Platz, kurzzeitlich überholte er ihn in manchen aber aber bereits. Mentzens möglicher Erfolg basiert auf mehr als auf seinem eloquenten Online-Auftritt. 

"Ein Haus, ein Grill, zwei Autos"

Er tourt seit Monaten durchs Land, verkauft sich als erfolgreicher Selfmade-Unternehmer und bringt seine Ansichten recht knapp auf den Punkt: Seine Vision sei es, dass jede polnische Familie einmal „ein Haus, einen Grill, zwei Autos“ habe.

Gegner erinnern daran, wie er 2019 die Kernpunkte des ersten Konfederacja-Parteiprogramms zusammengefasst hat: „Wir wollen keine Juden, Homosexuellen, Abtreibung, Steuern und EU.“ Das seien damals nicht seine Ansichten, sondern die der Wähler gewesen, entgegnen Parteimitglieder.

Tatsächlich sorgen Konfederacja-Politiker immer wieder mit derartigen Aussagen, Aktionen und Vorschlägen für Aufruhr. Der mittlerweile wegen einer eigenen Kandidatur ausgeschlossene EU-Parlamentarier Grzegorz Braun etwa löschte im polnischen Unterhaus Ende 2023 mit einem Feuerlöscher Kerzen aus, die anlässlich des jüdischen Lichterfests Chanukka brannten. 

Mentzen selbst, der 2019 ebenfalls als Abgeordneter nach Straßburg wollte und sich geschlagen geben musste, ist bekannter EU-Skeptiker und hat einst den Austritt Polens aus der Union gefordert. Darüber spricht er in diesem Wahlkampf nicht. Dafür fordert er nun mehr „persönliche Freiheiten“, etwa beim Besitz von Waffen oder Cannabis.

Fordert Freiheiten, nur nicht beim Thema Abtreibungen

Schwangerschaftsabbrüche hingegen gehören seiner Ansicht nach vollständig verboten, auch in Vergewaltigungsfällen – schon bei der Parlamentswahl 2023 eines der Hauptthemen. 

Damals kam es zum Machtwechsel, der liberalkonservative Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk wurde neuer Premier und übernahm nach acht Jahren PiS-Regierung das Ruder. Er hatte versprochen, das schon jetzt strenge Abtreibungsverbot zu lockern. 

Doch dieses Vorhaben, wie auch andere, blockiert aktuell der PiS-nahe Präsident Andrzej Duda, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten kann. Die geringe Anzahl an umgesetzten Ankündigungen führt dazu, dass die bei den Parlamentswahlen 2023 hohe Unterstützung für Tusks Bürgerplattform PO recht schnell wieder gesunken ist. 

Ob sein Kandidat Trzaskowski Präsident wird oder nicht, macht also einen Riesenunterschied für die politische Realität im 38-Millionen-Einwohner-Land.

Anders als die anderen

Umfragen deuten darauf hin, dass viele von denen, die womöglich für Mentzen stimmen werden, ihn gar nicht so sehr wegen seiner extremen Ansichten wählen würden. Sondern, weil er zu keiner der streitenden Parteien PO und PiS gehört, somit auch keinen „Regierungsballast“ mit sich trägt und tatsächliche Veränderung verspricht. 

Auch mit seinen liberalen Wirtschaftsansätzen und der Kritik an seiner Meinung nach zu hohen Sozialleistungen kann er bei einigen Wählern punkten – vor allem, wenn es um die rund eine Million ukrainischen Flüchtlinge geht, für die die Unterstützung in der polnischen Gesellschaft zunehmend sinkt.

Schafft Mentzen es in die Stichwahl, tritt er voraussichtlich gegen Trzaskowski an. Was Nawrockis Wähler dann machen würden, ist sehr schwer vorauszusagen, der Ausgang daher völlig offen. Jedenfalls wäre es ein Riesenerfolg für Mentzen. Und schon die Umfrageergebnisse allein deuten auf ein mögliches Ende der seit langem eher duopolen Machtverhältnisse in Polen hin. 

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