Polens neuer Premier Tusk: Ist er wirklich der große Pro-Europäer?

Donald Tusk
Donald Tusk, Chef der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) wurde am Mittwoch von Präsident Andrzej Duda als neuer polnischer Premier vereidigt. Polens Parlament hatte in einer Vertrauensabstimmung am Dienstagabend die neue proeuropäische Regierung bestätigt: 248 von 449 Abgeordneten votierten für Tusks Kabinett, 201 dagegen.
Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) fliegt nach acht Jahren aus der Regierung, nachdem der scheidende Premier Mateusz Morawiecki für sein Minderheitskabinett zu wenig Stimmen im Parlament erhalten hatte.
➤ Mehr lesen: Polens Parlament bestimmt Tusk zum künftigen Regierungschef
Tusk galt im Wahlkampf als der große Pro-Europäer – einer, mit dem Warschau in der EU wieder mitgestalten statt blockieren könnte. Zu diesem Image haben dem Danziger vor allem seine sieben Jahre als EU-Ratspräsident verholfen.
Neue Rolle
Sein Land werde eine Führungsposition in Europa erreichen, sagte Tusk selbst am Dienstag. Erstmal aber sollen ihm seine Erfahrung und sein Netzwerk helfen, die Beziehungen mit Brüssel wieder zu verbessern.
➤ Mehr lesen: Polnische Justizreform verstößt laut EuGH gegen EU-Recht
Dass Tusk pro-europäischer handeln wird als Morawiecki, steht außer Frage. Doch wer glaubt, dass Polen jetzt zu allen Vorschlägen der EU-Institutionen Ja und Amen sagt, könnte sich täuschen. Auch mit einem Premier Tusk gibt es Interessenskonflikte zwischen Warschau und Brüssel:
1. Migration
Eine brennende Frage, bei der es weiterhin krachen könnte, lautet etwa: Wie soll die EU mit den vielen Geflüchteten umgehen?

Polens Parlament hatte in einer Vertrauensabstimmung am Dienstagabend Tusks Kabinett bestätigt: 248 von 449 Abgeordneten votierten für Tusk, 201 dagegen.
Polen hat sich unter der PiS gemeinsam mit Ungarn der von der Kommission vorgeschlagenen Migrations- und Asylreform widersetzt und wollte keine Flüchtlinge aufnehmen oder Geld dafür aufwenden, andere EU-Länder dabei zu unterstützen.
Als die PiS im Wahlkampf vor einer Vielzahl an irregulären Migranten im Falle einer PO-Regierung warnte, dementierte die PO das. Sie zeigte sich bei dem Thema überraschend hart, kritisierte etwa die unter der PiS 2022 errichtete Mauer an der Grenze zu Belarus als zu „löchrig“. Polen habe bereits Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, war zudem zu hören, das müsse reichen.
Donald Tusk soll am Mittwoch als neuer polnischer Premier angelobt werden. Der 66-Jährige wurde als Sohn eines Zimmermanns und einer Sekretärin in der Hafenstadt Danzig geboren. Seine politische Karriere startete nach dem Fall des Kommunismus 1989. Zwölf Jahre später gründete er die Bürgerplattform mit, deren Chef er heute ist.
EU-Ratspräsident war Tusk von 2014 bis 2019. Dass ein Pole zehn Jahre nach dem EU-Beitritt von neun Ex-Ostblockstaaten in dieses Amt kam, sah man in seinem Land als Erfolg. Einige Tusk-Anhänger jedoch nahmen es ihm übel, dass er Polen verließ: Die nationalkonservative Partei PiS kam 2015 an die Macht.
2. Kohleausstieg
Ein Streitthema ist auch der Kohleausstieg. Brüssel will diesen zusammen mit einem Umstieg auf erneuerbare Energiequellen so bald wie möglich, um seine Klimaziele einhalten zu können. Doch in Polen ist das – ob mit Tusk an der Macht oder ohne – nicht so einfach, ist doch kein anderes EU-Land so abhängig von der „schmutzigen“ Energiequelle. Die neue Regierung will langfristig wie die alte von Kohle- auf Kernenergie wechseln.
➤ Mehr lesen: Energiewende mit polnischer Kohle und französischem Atomstrom

Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Mateusz Morawiecki fliegt nach acht Jahren aus der Regierung.
3. Reparationsgelder
Bereits seit Langem fordert Polen vom EU-Schwergewicht Deutschland eine finanzielle Wiedergutmachung für die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs, konkret ist von 1,3 Billionen Euro die Rede. Deutschland lehnte das stets ab. Auch unter Tusk dürfte das emotional aufgeladene Thema nicht vom Tisch sein.
4. Russland und Euro
Aufgrund seiner historischen Erfahrungen mit Russland hat Polen außerdem eine härtere Position gegenüber Moskau als viele andere EU-Länder und fordert ein besonders rasches Ende von z.B. russischem Gas in Europa. Und ob Polen unter Tusk den Euro bald einführen wird, ist ebenfalls fraglich.
Tusk versteht, wie die EU funktioniert. Er dürfte daher wissen, wie er Polens nationale Interessen in Brüssel durchsetzen kann. Die haben sich zum Teil nicht so stark geändert, wie man glauben könnte. Was sich aber ändern wird, da sind sich viele Experten einig: Die Gesprächsbasis wird eine andere sein, mit Tusk könne man diskutieren, heißt es.
Kommentare