Der Premier hat versprochen, das strenge Abtreibungsgesetz zu lockern. Bisher hat sich kaum etwas getan, noch immer sterben Frauen. Bald dürfte das Thema wieder hochkochen.
„Ich wollte einfach normale Abtreibungsrechte. Aber es ist nicht einfach“, lautet das Fazit der 23-jährigen Natalia aus Warschau zur bisherigen Arbeit der polnischen Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk, die vor mehr als einem Jahr angelobt wurde.
Der KURIER hat die Studentin kurz vor der Parlamentswahl 2023 kennengelernt. Zumindest offiziell hat der Urnengang einen in Europa viel beachteten Machtwechsel gebracht: Nach acht Jahren unter der Brüssel-skeptischen, nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) hat der ehemalige EU-Ratspräsident Tusk an der Spitze einer Koalition aus sechs konservativen, liberalen und linken Parteien wieder – er ist schon zum dritten Mal Regierungschef – das Ruder übernommen.
Dass das möglich war, lag ganz besonders an den polnischen Frauen, die zuhauf wählen gingen: fast 74 Prozent von ihnen stimmten ab, ein Rekordhoch. Das kam nicht von ungefähr, rückten doch mehrere Parteien das Abtreibungsverbot der PiS-Regierung ins Zentrum ihrer Kampagnen.
Auch Tusk adressierte konkret Frauen, erklärte ihre Anliegen zum „Thema Nummer eins“ und holte sich damit die Stimmen gerade junger Polinnen.
15 Monate später kritisieren Frauenrechtlerinnen: Bisher hat sich kaum etwas getan. Nach wie vor trauen sich nur eine Handvoll Ärzte, Abtreibungen durchzuführen – gerade in ländlichen Gebieten ist der Zugang weiterhin schwer beschränkt. Schwangerschaftsabbrüche sind seit 2021 nur noch erlaubt, wenn die Mutter gefährdet ist, oder in Vergewaltigungs- und Inzestfällen.
"Ungefähr 400 Abtreibungen wurden vergangenes Jahr innerhalb des staatlichen Systems durchgeführt, 150.000 außerhalb“, sagt die Aktivistin Marta Lempart, die den Polnischen Frauenstreik mitgegründet hat. „Außerhalb“, damit meint sie vor allem über Organisationen im Ausland.
"Frauen sterben weiter"
Aleksandra Niżyńska vom Beratungsunternehmen Gender Solution in Warschau, die u. a. die EU-Kommission regelmäßig über Polens Gleichstellungsfort- bzw. rückschritte informiert, sagt: „Nach der Wahl dachte ich, dass ich jetzt endlich auch Positives berichten kann. Aber ich muss noch immer überwiegend negative Nachrichten übermitteln – auch von Frauen, die weiter sterben, weil sie nicht abtreiben können. Wir wurden getäuscht. “
Der Vorschlag für ein Abtreibungs-Entkriminalisierungsgesetz wurde gleich zu Beginn der neuen Regierungsperiode im Parlament abgelehnt, was Proteste auslöste. Obwohl man einen neuen Versuch gestartet hat, ist bei diesem kontroversen Thema, bei dem sich nicht alle Regierungsparteien einig sind, frühestens in ein paar Monaten mit einem Durchbruch zu rechnen. Wenn überhaupt.
Der PiS-treue Präsident Andrzej Duda hat bereits angekündigt, das Gesetz zu blockieren, sollte es durchgehen. Im Mai aber bestimmen die Polen seinen Nachfolger.
Präsidentschaftskandidat mit bekannter Ehefrau
Und so dürften mehrere der Kandidaten – aktuell 14 Männer, eine Frau – in den nächsten Monaten einmal mehr gerade um weibliche Stimmen kämpfen. Gewinnt Tusks Kandidat, der Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski, würde das dem Ministerpräsidenten vieles erleichtern. Seine Chancen stehen Umfragen zufolge nicht schlecht.
„Trzaskowski wird sicher versuchen, die Frauenkarte zu spielen“, erwartet Niżyńska. Ein Trumpf: „Seine Ehefrau ist in der Frauenrechtsszene aktiv und bekannt. Sie bezieht Stellung, meldet sich zu Wort – ein großer Unterschied zur jetzigen First Lady, die ihre Meinung hier nie geteilt hat.“ Sein größter Gegner dürfte der von der PiS gestützte Historiker Karol Nawrocki werden, der Abtreibungsgegner ist und „das Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod“ unterstützt, wie er selbst sagt.
Das Ehepaar Rafał Trzaskowski und Malgorzata Trzaskowska
Ob Tusks liberalkonservative Partei „Bürgerplattform“ (PO) auch diesmal wieder so viele Polinnen wie 2023 mobilisieren wird können, ist fraglich. „Das Thema Abtreibung war ein wichtiger Beweggrund für junge Frauen, zur Wahl zu gehen. Aber die Regierung hat ihnen nichts zurückgegeben“, sagte Mateusz Burzyński, Anwalt bei der Organisation Federa, die sich für reproduktive Rechte einsetzt, gegenüber dem Medium Notes from Poland.
"Die Frustration ist wirklich groß"
Schon im Juni war einer Umfrage zufolge fast die Hälfte aller, die für die Regierungskoalition gestimmt haben, enttäuscht darüber, dass das Abtreibungsrecht noch nicht liberalisiert wurde. „Die Frustration unter den Frauen ist wirklich groß“, sagt Expertin Niżyńska. Tusk gestand sich bereits öffentlich ein, dass es in dieser Periode mit der Lockerung vermutlich nichts mehr wird.
Obwohl das offiziell nicht an ihm liegt, zweifelt Niżyńska daran, wie sehr er es tatsächlich will. Viele seien begeistert gewesen, als Tusk Premier geworden sei: "Aber seine Regierung ist überwiegend konservativ bis rechts, seine Partei ist im EU-Parlament bei der EVP. Nur, weil jetzt demokratische Kräfte an der Macht sind und sich – anders als davor die PiS – an die Rechtsstaatlichkeit halten, heißt das nicht, dass sie wirklich und nachhaltig Politik für Frauen machen."
"Er hat die Frauen geopfert"
In Tusks Partei säßen sehr viele streng Konservative, deren gesellschaftspolitische Einstellungen sich von jener der PiS in Wahrheit gar nicht so sehr unterscheiden würden. Die derzeitige Situation sei "sehr bequem" für Tusk: "Er kann immer den Koalitionspartnern die Schuld geben und das in Verhandlungen für andere Anliegen nutzen. Wenn er gewollt hätte, hätte er anders verhandeln können. Er hat die Frauen geopfert."
Studentin Natalia hat 2023 für Tusks Wahlkoalition gestimmt und bereut das nicht: "Ich würde mich definitiv wieder so entscheiden. Ich würde, außer die rechtsextreme Konfederacja, eigentlich jede Partei wählen, um eine erneute PiS-Regierung zu verhindern."
Zwar gebe es noch immer keinen freien Zugang zu Abtreibungen, man sei aber näher dran als davor. Die junge Frau hofft, dass Tusk-Kandidat Trzaskowski die Wahl im Mai gewinnt – und es dann bei den Frauenrechten tatsächliche Fortschritte gibt.
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