Polen: Repressionen gegen Richter und Sorge vor einem „Polexit“
Unter dem Motto „Heute die Richter, morgen du“ haben Mittwochabend in Polen in rund 130 Städten Oppositionsgruppen und juristische Vereinigungen gegen die Repressionen protestiert, denen Richter bald ausgesetzt sein werden. Das Oberste Gericht in Warschau warnte vor einem möglichen „Polexit“, einem Verlassen der EU.
Die Proteste fanden vor Gerichten statt, in Warschau vor dem polnischen Parlament, dem Sejm.
Berufsverbot droht
Der Grund des Aufruhrs: Abgeordnete der nationalkonservativen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) hatten vergangenen Donnerstag einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der als Antwort auf eine Empfehlung des Europäischen Gerichts gilt. Das neue Gesetz soll das „in Fragestellen der Position eines anderen Richters und seiner Berufung“ mit Berufsverbot belegen.
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hatte im November das Oberste Gericht in Warschau aufgefordert, eine ihm untergeordnete Disziplinarkammer und den Landesrichterrat auf deren Unabhängigkeit zu überprüfen.
Regierungstreue Juristen
Viele Richter des Obersten Gerichts gelten noch als relativ regierungsunabhängig – würden die neuen Novellen in Kraft treten, könnten sie die Besetzung des Landesrichterrats und der Disziplinarkammer nicht mehr in Frage stellen, ohne dabei ihr Amt zu verlieren.
Beide wichtige Institutionen sind mittels fragwürdiger Reformen mit PiS-konformen Juristen bestückt worden. Zudem soll in Zukunft politisches Engagement von Richtern bestraft werden.
„Auf längere Sicht bedeuten die Maßnahmen ein Verlassen der EU“, weil sich Polen endgültig mit Brüssel überwerfe, warnte das Oberste Gericht, das sich nicht einschüchtern ließ und eine 42-seitige pointierte Kritik an der Gesetzesnovelle publizierte.
Umbau des Rechtsstaats
Die PiS unter ihrem Strategen Jaroslaw Kaczynski regiert seit Herbst 2015 und will nun nach ihrer Wiederwahl im Oktober den Umbau des Rechtsstaats weiter vorantreiben.
Damit befindet sie sich seit Jahren im Zwist mit der EU. So wurde bereits im Jänner 2016 das erste Rechtsstaatlichkeitsverfahren von der EU-Kommission eingeleitet, nachdem das polnische Verfassungsgericht in seiner Kompetenz beschnitten worden war.
Im Dezember 2017 trat dann Artikel 7 des EU-Vertrages in Kraft, der bei „schwerwiegender und anhaltender Verletzung“ von Werten wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit greifen soll. Doch für einen Stimmentzug als letzte Konsequenz des Verfahrens wird Einstimmigkeit der Mitglieder verlangt. Hier wird wohl das ebenfalls autoritär geführte Ungarn nicht mitziehen.
Derzeit prüft die EU-Kommission erneut, ob der juristische Maulkorb, den die PiS den Richtern verpassen will, gegen EU-Recht verstößt.
„Ungestraft davonstehlen“
Sicher ist – der Ton ist nach der gewonnenen Wahl wieder aggressiver geworden. So sprach Staatspräsident Andrzej Duda von „postkommunistischen Gebräuchen“ bei den älteren Richtern. Die Rechtskonservativen argumentieren, dass viele Richter, die vor der Wende vereidigt wurden, weiter Anhänger des alten Systems seien und gegen die „gewöhnlichen Polen“ agierten.
Aber auch die Gegenseite zeigt sich kämpferisch. So twitterte der ehemalige Vorsitzende des Europäischen Rates, Donald Tusk: „Überall dort, wo die Macht sich gegen die unabhängige Richterschaft wendet, geht es im Prinzip nur um das eine – dass sich die Machthaber ungestraft davonstehlen können.“
Tusk regierte das Land von 2007 bis 2014 und wurde kürzlich zum Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei gewählt.
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