Der Pfarrer hat viel davon gesehen und gehört – auch durch seinen Bruder, einen Arzt, der ihm von Verletzungen und Verätzungen berichtet, wie beim Mitarbeiter einer Reinigungskolonne, die unzureichend Schutzkleidung hat. Der Betroffene würde sich nie krank melden, er könnte seine Arbeit verlieren, weiß er.
"Diese Menschen können sich nicht erholen"
Dass sich beim Fleischzerleger Tönnies in Rheda-Wiedenbrück (NRW) und anderen Betrieben viele Beschäftigte mit Corona infiziert haben, überraschte ihn nicht: Die Arbeits- und Wohnverhältnisse machen anfällig für Krankheiten. "Das Verschleißen und die Unterbringung dieser Menschen machen sie zu einer Hochrisikogruppe." So lange sich die Bedingungen nicht ändern, wird es weitere Fälle geben. Zuletzt vermeldete der Fleischproduzent Wiesenhof (Niedersachsen) Corona-Infektionen.
Kossen wird oft gefragt, warum sich die Leute die Arbeit dort antun: Es seien Menschen, die kaum Deutsch sprechen und mit wenig Geld am engen Wohnungsmarkt ankommen, und keine andere Chance haben, das zu nehmen, was ihnen der Personaldienst anbietet. "Sie wissen nicht, wo sie sonst bleiben sollen."
Für manche werden daraus viele Jahre. Kossen versteht nicht, warum man keine Werkswohnungen baut. Seine Vermutung: Es ist für Investoren nicht lukrativ und für die Betriebe einfacher, diese Organisation an Subunternehmen auszulagern, ebenso die Verträge. So müssen sie die Menschen nicht bei sich anstellen, übernehmen rechtlich keine Verantwortung und werden sie schnell wieder los. Für die Arbeiter gibt es daher keinen Anspruch auf einen Betriebsrat.
"Das Arbeitsrecht unterstellt, dass jeder sein Recht geltend machen kann, bei Arbeitsmigranten funktioniert das nicht", sagt Kossen, in dessen Verein "Aktion Würde und Gerechtigkeit" Anwälte unentgeltlich Hilfe anbieten. Viele Beschäftigte würden aber nicht klagen, weil sie dann Job und Unterkunft verlieren. Oder sie haben bereits resigniert, wie ihm eine rumänische Arbeiterin berichtete.
"Den Menschen werden Stolz und Selbstbewusstsein genommen"
Sie fühlen sich wie Menschen dritter Klasse – "und werden bewusst so behandelt", sagt Kossen. "Den Menschen werden Stolz und Selbstbewusstsein genommen, damit sie leichter manipulierbar sind." Er spricht von "moderner Sklaverei", wie kürzlich in einer Talkshow, wo sich ein Unternehmervertreter heftig echauffierte. Kossen lächelt freundlich, er bleibt dabei.
In seinen Predigten lässt er manches einfließen. "Man muss die Bibel auch politisch lesen und verstehen. Daher liegt es nahe, etwas zu Themen zu sagen, die mit Gestaltung von Gesellschaft und Welt zu tun haben. Ich habe keine Bedenken, Verhältnisse und Verantwortliche beim Namen zu nennen." Auch die Kirche "muss selbst schauen, wie sie Arbeitsverhältnisse gestaltet".
Durch sein Engagement hat er sich auch Feinde gemacht: Einmal lag ein abgezogenes Kaninchen vor seiner Tür – "Gruß aus der Fleischbranche". Kossen lässt sich davon nicht einschüchtern. Er wird weiter reden, sanft im Ton, nicht sparend mit Kritik.
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