Wo Religion politisch ist: Des Papstes heikle Mission am Bosporus
Das Mysterium um das Grabtuch von Turin, das angebliche Leichentuch Jesu, zu lösen, dafür hat Papst Leo XIV. während seines dicht getakteten Programms in Istanbul keine Zeit. Der Legende nach soll das Tuch mehrere Jahrhunderte lang in Konstantinopel versteckt worden sein, bis zu den Kreuzzügen im 13. Jahrhundert. Belegbar ist das nicht, trotzdem beanspruchen viele katholische Kirchen in der Stadt am Bosporus die Erzählung für sich.
Papst Leo XIV. hat kein einfaches Ziel für seine erste Auslandsreise ausgesucht: In der Türkei stellen Muslime die Mehrheit. "99 Prozent der Bevölkerung sind muslimisch", betont Präsident Recep Tayyip Erdoğan gern, der nicht vor einer politischen Instrumentalisierung des Islams zurückschreckt und sich eine Führungsrolle in der islamischen Welt zuschreibt. Dabei weist er der sunnitischen Auslegung eine führende Rolle zu, der Schätzungen zufolge etwa 88 Prozent der Bevölkerung angehören – neben Minderheiten wie den Aleviten und Jesiden.
Verfolgt und vertrieben
Die Zahl der Christen in der Türkei ist verschwindend gering, die römisch-katholische Minderheit noch kleiner als die orthodoxe: Inoffiziellen Schätzungen zufolge leben in der Türkei 60.000 armenische, 15.000 syrisch-orthodoxe Christen, bis zu 4.000 griechisch-orthodoxe, 2.500 römisch-katholische Christen und 2.500 Protestanten. Ende des 19. Jahrhunderts, im Osmanischen Reich, waren es noch mehr als zwei Millionen, sie machten ein Viertel der Bevölkerung aus. Doch der Völkermord an den Armeniern und Assyrern, die Vertreibung der Griechen und der Bevölkerungsaustausch während und nach dem Ersten Weltkrieg ließ sie verschwinden oder abwandern.
Was bleibt, ist das Gefühl, nicht als zugehörig zur türkischen Bevölkerung wahrgenommen zu werden. Die katholische Kirche hat in der Türkei aufgrund des in der Verfassung verankerten Laizismus keinen juristischen Status, die Gebäude gehören entweder ausländischen Vertretungen oder dem türkischen Staat, der sie in der Theorie der Kirche nicht zur Verfügung stellen muss. Das Thema beschäftigt sogar den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Finanzielle Unterstützung gibt es von der staatlichen Religionsbehörde so gut wie keine. Pfarrer und Religionslehrer dürfen nicht von den Kirchen ausgebildet werden, Theologie kann nur an islamisch-theologischen Fakultäten studiert werden. Lange wurden Christen als Landesverräter gesehen, die aus wirtschaftlichen Gründen dem Christentum angehören – im strengen Islam werden Zinsen abgelehnt.
Leo XIV. wurde von Erdoğan in Ankara empfangen, er bleibt bis Sonntag in der Türkei.
Papst Leo XIV. startete seinen Besuch in Ankara mit einem Besuch des Mausoleums von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk. Dessen Türkei folgte einer nationalistisch säkularen Ausrichtung, in der religiösen Minderheiten keine expliziten Rechte zukamen. Unter Präsident Erdoğan, sagen katholische Vertreter und christliche NGOs, habe sich die Lage erst verbessert – vor allem während seiner Zeit als Ministerpräsident Anfang der 2000er, als ein EU-Beitritt noch im Raum stand. Doch heute macht Erdoğan mit dem Islam Politik.
Politisierung des Islams
2013 hob er das von Atatürk erlassene Kopftuchverbot für Frauen im öffentlichen Dienst auf – was ihm bei weiblichen Wählern und Ultranationalisten gleichermaßen Zustimmung einbrachte. Die teils rechtsextremen und islamistischen Kleinparteien MHP und YRP, die ihn im Parlament unterstützen, sehen etwa den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., der seinen Amtssitz in Istanbul hat, als Vertreter der Griechen an – einst Feind der Türkei. Am Freitag wird ihn der Papst in Istanbul treffen.
Auch die umstrittene Entscheidung, die Hagia Sophia in eine Moschee zurückverwandeln, geht auf Erdoğan zurück. Seitdem sind die aus dem Gebetsraum ersichtlichen christlichen Mosaike und Fresken in der einstigen Kirche verhüllt.
Laute Kritik von Kirchenvertretern hört man selten – auch aus Angst vor Einschüchterung. Ein IS-Angriff auf eine katholische Kirche in Istanbul im Jänner 2024 verstärkte die Angst vor einer wachsenden Feindseligkeit gegenüber Christen in der Türkei.
Auch der Papst blieb bei seiner Reise zurückhaltend, der gemeinsame Auftritt mit Erdoğan verlief unspektakulär. Man berief sich auf die gemeinsamen Interessen – etwa Frieden im Nahen Osten. Papst Leos XIV. Botschaft, Hoffnung und Einheit, schlägt sich auch in den weiteren Programmpunkten nieder: In Istanbul besucht er die Blaue Moschee.
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