Der scheue Hirte: Papst Leo XIV. wird 70

Als am 8. Mai um kurz nach 19 Uhr die Worte „Habemus Papam“ fielen, musste so manch einer am Petersplatz googeln. Doch das Handynetz war ausgefallen, das Internet gab keine Antwort. Wer war noch einmal Kardinal Prevost? Die Wahl kam aus heiterem Himmel.
„Ich wundere mich heute noch“, sagt Vatikanjournalist und Papst-Biograf Stefan von Kempis, der an diesem Tag in der Menge stand. Und nicht nur er. Auch Leo XIV. selbst stellte sich kürzlich vor Bischöfen im Vatikan die Frage: „Warum gerade ich?“
Ein US-Amerikaner, ein Ordensmann, ein Beamter der Kurie – all das machte Robert Prevost maximal zum B-Kandidaten. Für von Kempis, Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Vatican News, stach der Augustiner nie besonders hervor, „ein ganz normaler Ordensmann“, dem er ab und zu auf dem Weg zur Arbeit am Petersplatz begegnete.
Auch seit der Amtseinführung bleiben spektakuläre Gesten und starke inhaltliche Akzente des neuen Pontifex aus. Stattdessen urlaubte er gleich zwei Mal in Castel Gandolfo, was ihm manch spöttischen Kommentar in den Medien einbrachte.
Beobachter sehen darin jedoch sein diplomatisches Geschick. Vorgänger Papst Franziskus hatte die prunkvolle Sommerresidenz gemieden, er bevorzugte die bescheidenen Gemächer von Santa Marta. Leo XIV. hingegen wolle zeigen, dass er nicht mit alten Traditionen breche. Der neue Pontifex als Brückenbauer zwischen Traditionalisten und Reformern also.

In Peru war Prevost eher am Maultier als im Mercedes unterwegs.
Dass Leo XIV. die konservativen Kräfte in der katholischen Kirche nicht vor den Kopf stoßen will, zeigt auch diese Entscheidung: Er lässt Kardinal Raymond Leo Burke, lautstarker Wortführer der Traditionalisten, eine Messe nach altem Ritus im Petersdom feiern. Franziskus hatte diese Form des Gottesdienstes in lateinischer Sprache weitgehend eingeschränkt.
Andererseits sei der neue Papst „inhaltlich in den Fußspuren“ von Reformer Franziskus unterwegs, sagt Theologe Andreas Batlogg – der Aufruf zu Frieden, Fokus auf soziale Fragen und das Bekenntnis zum synodalen Weg, also Entscheidungen nicht von oben herab, sondern im Austausch mit der gesamten Kirche zu treffen. „Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Franziskus ihn nach Rom geholt und so schnell zum Kardinal ernannt hat“, sagt Batlogg, der ebenfalls eine Biografie über Leo XIV. verfasst hat. Der Argentinier wollte stets Hirten und keine Barockfürsten. Und als Bischof von Chiclayo in Peru war Robert Prevost eher auf dem Maultier anstatt im Mercedes unterwegs.
Bügelbrett als Altar
Prevost stammt aus Chicago, er wuchs in einer streng katholischen Familie als Jüngster von drei Brüdern auf. Schon früh sei klar gewesen, dass er einmal Priester werden wolle, sagt sein Bruder John in einem Interview mit den US-Sendern CBS und ABC. Am Bügelbrett der Mutter spielte er Gottesdienst.
Später studierte er Mathematik und Philosophie in Pennsylvania, mit 22 Jahren trat er dem Orden der Augustiner bei. „So eine Entscheidung prägt“, sagt Theologe Batlogg. Als Ordensmann gibt man viele Entscheidungen aus der Hand. Neben Armut und Ehelosigkeit verpflichtet man sich dem Gehorsam – also man tut, was Obere verlangen. Und die entschieden, ihn nach Rom zu schicken, wo er 1982 zum Priester geweiht wurde.

Papst Franziskus holte Robert Prevost zurück nach Rom und machte ihn zum Kardinal.
Doch die prägendste Station seines Lebens sollte erst kommen: 1985 ging „Pater Bob“ als Missionar nach Peru. Später wird er Provinzialoberer, 2015 Bischof von Chiclayo im Norden des Landes. Dort ist er mit der Armut der Menschen konfrontiert – und damit einem der Hauptmotive für die Migrationsbewegung von Süd- nach Nordamerika. Es ist bis heute das einzige Thema, bei dem Prevost klare Kante gezeigt hat: Noch als Kardinal kritisierte er immer wieder die strikte Migrationspolitik von Donald Trump und JD Vance.
Ansonsten ist Prevost zurückhaltend. Das liegt auch an seinem schüchternen Naturell. Vatikanjournalist Stefan von Kempis beschreibt ihn als jemanden, der lieber zuhört, als redet. „Er haut nicht gerne auf den Tisch.“ Auf markante Sager, wie bei Papst Franziskus, wird man vergeblich warten. Auch wenn er um klare Ansagen nicht herumkommen wird, sagt Theologe Batlogg: „Ganz oben steht die Frage, ob Frauen zu Diakoninnen geweiht werden können. Das erwarten viele vom neuen Papst.“
Wie er dazu steht, ist unklar. Im Gegensatz zu vielen seiner Vorgängern hat er außer seiner Doktorarbeit im Fach Kirchenrecht nichts publiziert. Manche warten deshalb auf seine erste Enzyklika, eine Art Programmschrift. Doch nicht immer war sie wegweisend für ein Pontifikat. So hieß die erste Enzyklika von Benedikt XVI. „Gott ist Liebe“. In seiner Amtszeit war Joseph Ratzinger aber mehr nüchterner Theologe als Papst der Herzen.
Leo XIV. lässt es jedenfalls ruhig angehen. Ob das auch auf seinen heutigen 70. Geburtstag zutrifft, ist nicht bekannt.
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