Joschka Fischer: "Österreich wird seine Neutralität neu definieren müssen"

Ein Mann mit Brille gestikuliert vor Mikrofonen bei einer Veranstaltung zum Thema Frieden und Judentum in Deutschland.
Der ehemalige deutsche Außenminister sprach in der ZiB2 über die schwierige Situation Europas, die Rolle Österreichs und Fehler der Vergangenheit.

Unter deutlichen Spannungen sprachen die ranghöchsten Vertreter der Europäischen Union am Donnerstag mit der Staatsführung Chinas. Die Liste der Probleme ist im 50. Jahr bestehender diplomatischer Beziehungen der beiden Seiten lang.

Im Nacken sitzen beiden Seiten die drohenden Zölle von US-Präsident Donald Trump. Während für die EU am 1. August die Frist abläuft, hat China die Aussicht auf eine Verlängerung der laufenden Zollpause.

Joschka Fischer in der ZiB2

Am Donnerstagabend war dazu der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer (Grüne) in der ZiB2 im ORF geladen. Er zeichnete dort ein düsteres Bild von Europa.

Die globale Situation habe sich "völlig verändert", so Fischer: "Statt Freihandel werden wieder Wirtschaftsblöcke dominieren und die großen Mächte sind in Rivalität zueinander aufgestellt. Die Frage ist, ob die Europäer dabei ihre Interessen vertreten können, wenn sie keine Macht sind. Das heißt, wir müssen verteidigungsfähig werden, wir müssen aber auch wettbewerbsfähig werden."

"ZIB 2"-Langfassung: Interview mit Deutschlands Ex-Außenminister Joschka Fischer

Das alles könne man aber nicht alleine. Umso absurder wäre der Gedanke, dass es die EU nicht mehr geben würde. Auch in seinem neuesten Buch, das im März erschien, zeigte sich der 77-Jährige wenig hoffnungsvoll. "Wenn die Ukraine ihre Nuklearwaffen nicht an Russland abgetreten hätte, hätte es diesen Krieg nicht gegeben", so Fischer weiter: "Das heißt, wir müssen unsere eigene Verteidigungsfähigkeit im Auge haben und wiederherstellen."

Mangelndes Vertrauen in Trump

Trump habe die letzten Jahre die Realität verändert und darauf müsse man sich einstellen. Auch Österreich. "Ich würde mich freuen, wenn wir Europäer hier eine gemeinsame, geschlossene Position hätten." Bei Trump gehe es vor allem auch um Vertrauen. "Würden Sie Trump vertrauen, der heute dieses sagt und morgen jenes?", so Fischer. Europa sei deshalb gut beraten, zweigleisig zu denken und planen: "Einerseits mit den USA, denn damit sind Europa und die USA allemal stärker." Man müsse sich aber auch auf den Fall einstellen, dass Trump sein Wort eben nicht hält: "Wovon ja durchaus auszugehen ist."

Der ehemalige Außenminister gab im ZiB2-Interview aber auch eigene Fehler zu. Etwa dass er sich für die Abschaffung der Wehrpflicht aussprach. "Aus diesem Fehler muss jetzt die Konsequenz gezogen werden. Wir werden sie wieder einführen müssen."

Österreich und die Neutralität

Fischer wünscht sich auch eine stärkere Beteiligung Österreichs an der europäischen Verteidigungspolitik. Da fällt natürlich das Schlagwort Neutralität. "Die Neutralität war für Österreich, für die jüngere österreichische Geschichte von entscheidender Bedeutung und hat dem Land sehr viel Leid erspart", weiß der ehemalige Grünen-Politiker. Daher versteht er auch das Festhalten an Selbiger.

Aber die Situation habe sich nun mal eben verändert. NATO-Beitritte von Finnland und Schweden, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, Putins Drohungen gegen den Westen. "Sollte sich Putin in der Ukraine durchsetzen, wird er ja nicht aufhören. Er wird weitermachen, weiter westlich."

Darauf müsse man sich einstellen. Deshalb müsse auch ein Land wie Österreich, "das sich an Neutralität orientiert und damit positive Erfahrungen gemacht hat, Neutralität unter den neuen Bedingungen neu definieren." So müsse es etwa Antworten darauf geben, ob sich Österreich etwa an einer europäischen Luftabwehr beteilige. Fischer ist aber optimistisch: "Ich bin mir sicher, dass Österreich, wenn es soweit ist, im europäischen Geist entscheiden wird."

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