Joschka Fischer sieht Europa dauerhaft durch Russland bedroht

Joschka Fischer sieht Europa dauerhaft durch Russland bedroht
Deutscher Ex-Außenminister: Ein Waffenstillstand im Ukraine-Krieg mit territorialen Kompromissen wäre für beide Kriegsparteien schwer als Erfolgzu präsentieren.

Russland übt nach Einschätzung von US-Experten erneut Druck auf den Westen aus, um die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen. Demnach solle der Westen auf die ukrainische Führung einwirken, die Bedingungen Russlands für solche Gespräche zu akzeptieren, hieß es aus dem Institut für Kriegsstudien ISW in Washington. Wie in der Vergangenheit sei es aber nur Ziel Russlands, mit einer vorgetäuschten Verhandlungsbereitschaft den Westen in seiner Hilfe für die Ukraine zu demotivieren.

Die Experten beriefen sich auf Kremlangaben vom Freitag, wonach der russische Präsident Wladimir Putin offen sei für Dialog. Russland wirft der Ukraine und dem Westen vor, Verhandlungen zu blockieren. Zugleich lehnt Moskau einen Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ab, der einen russischen Truppenabzug vorsieht. Die Ukraine und auch etwa Deutschland sind gegen ein Einfrieren des Krieges mit den von Russland besetzten Gebieten.

Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer sieht Europas Sicherheit indes dauerhaft durch Russland bedroht - auch wenn im Ukraine-Krieg ein Waffenstillstand erreicht wird. "Wenn man über das Ende dieses Krieges nachdenkt, dann muss man realistisch denken", sagte der Grünen-Politiker dem Tagesspiegel (Samstag).

"Es wird ein schmerzhafter Waffenstillstand werden, der beide Seiten nicht zufriedenstellt. Und der für Europa eine dauerhafte Sicherheitsbedrohung bedeutet."

Ein Waffenstillstand werde "territoriale Kompromisse" erfordern, die für beide Seiten alles andere als einfach seien, führte Fischer aus. "Wenn am Ende für (Russlands Präsident Wladimir) Putin eine Bestätigung in Richtung Krim und einige Korrekturen im Osten herauskämen und er das zu Hause als Erfolg präsentieren muss, wird das sicher nicht leicht. Umgekehrt werden die Ukrainer sich sehr schwertun, territoriale Kompromisse einzugehen."

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Die alte Formel, nach der es Sicherheit in Europa nur mit Russland gebe, gelte nicht mehr. Die Zukunft müsse von "Sicherheit vor Russland" geleitet sein - auch über Putin hinaus, wie Fischer deutlich machte. "Der Revisionismus eines Wladimir Putin mit der Wiederherstellung der "russischen Erde" durch die erneute Eingemeindung der früheren sowjetischen Territorien ist ja nicht seine private Überzeugung. Die wird von der Bevölkerung weit geteilt", sagte er.

Deutschland um Marschflugkörper gebeten?

Unterdessen soll die Ukraine einem Zeitungsbericht zufolge Deutschland um die Lieferung des deutschen Marschflugkörpers vom Typ Taurus gebeten. Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtet, bestätigte das deutsche Verteidigungsministerium die Anfrage aus der Ukraine.

Ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich diese Bitte an den deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD) gerichtet hat, was Informationen der Zeitung nahelegten, wollte ein Sprecher der deutschen Bundesregierung der FAS zufolge nicht kommentieren.

Taurus-Marschflugkörper haben eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Sie werden von Kampfflugzeugen abgeworfen und finden ihre Ziele selbstständig. Der Lenkflugkörper kann Radar unterfliegen. Er gilt als wirksame Waffe gegen geschützte Ziele wie Kommandobunker oder Munitionsdepots.

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Im Gespräch mit der FAS befürworteten die Außenpolitiker Roderich Kiesewetter (CDU) und Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, dass Deutschland die Lieferungen von F-16-Kampfjets durch die USA an die Ukraine aktiv unterstützt, etwa durch Ausbildung. Kiesewetter sagte demnach, zur Bewaffnung der F-16 könne Berlin durch Taurus beitragen. Fachleute hätten ihm versichert, es sei keine "Raketenwissenschaft", den deutschen Marschflugkörper an die amerikanische F-16 anzupassen.

Roth und Kiesewetter begründeten ihre Forderung mit den erheblichen Verlusten der ukrainischen Luftwaffe seit dem Beginn der russischen Invasion. Die Zeitung beruft sich auf "US-amerikanische Angaben", nach denen die Ukraine schon zu Beginn dieses Jahres 60 ihrer 145 Kampfflugzeuge verloren hat.

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