Hilfsgüter, Decken und Nahrung liefert nun die EU – doch Verhandlungen über die Rettung der gestrandeten Migranten wird Brüssel mit dem Regime in Minsk nicht führen. Denn „mit einer Migrationskrise haben wir es hier nicht zu tun“, sagt EU-Außenbeauftragter Josep Borrell.
Vielmehr mit einer „künstlich herbeigeführten Krise“ – von deren Urheber sich die EU nicht erpressen lassen will. Wobei, wie Borrell weiter ausführt, klar sei, „dass Lukaschenko tut, was er tut, weil er die starke Unterstützung Russlands hat“. Das weist Präsident Wladimir Putin kategorisch zurück: „Russland hat damit absolut nichts zu tun.“
Doch eine Reihe aus Belarus geflohener Ex-Offiziere des Geheimdienstes und der Polizei sowie ein Ex-Minister wissen anderes zu berichten. In der in Warschau angesiedelten Exil-Bürgergruppe Bypol tragen sie die heiklen Informationen zusammen:
Demnach geht der Plan, massenhaft Migranten aus dem Nahen Osten nach Weißrussland zu holen und sie an die EU-Außengrenzen zu schleusen, auf die Zusammenarbeit zwischen dem belarussischen Geheimdienst KGB und dem russischen FSB zurück.
Kooperiert haben zudem die Militärgeheimdienste der Generalstäbe beider Länder. Neu sind die engen Verbindungen zwischen den Diensten nicht. Der russische FSB soll bereits seit mehr als zehn Jahren bei strategischen Fragen in Belarus mitreden.
Der Startschuss dafür, Migranten als Waffe für eine Art hybriden Angriff zu missbrauchen, fiel im Frühling dieses Jahres. Bereits Ende April oder Anfang Mai sei die Entscheidung für „Operation Schleuse“ gefallen, schildert der belarussische Ex-Minister Pawel Latuschka der Süddeutschen Zeitung. Das Ziel: Mehr Geld für das in schwerer Budgetnot schwebende Lukaschenko-Regime herauszupressen und Druck auf die Europäische Union ausüben, um die lästigen Sanktionen aufzuheben.
Um die Migranten ins ferne Weißrussland zu holen, wurde auch das bis dahin so strenge Visa-Regime ausgehebelt: Iraker, Syrer, Jemeniten, Afghanen hatte früher so gut wie keine Chance, jemals in Belarus einzureisen – ab Frühling wurde die massenhafte Ausgabe von Visa erlaubt.
Im belarussischen Konsulat in Damaskus wurde der Ansturm schließlich so groß, dass es schließen musste. 2.000 Anträge pro Woche waren nicht mehr bewältigbar.
Eine der Führungsfiguren bei dem staatlichen Schleuserplan soll Lukaschenkos ältester Sohn Wiktor sein. Dies berichtet Oberstleutnant Alexander Asarow.
Dieser hatte sich nach 20 Jahren Dienst im belarussischen Innenministerium im vergangenen Winter nach Polen abgesetzt. Und Asarow befürchtet, wie er der Süddeutschen Zeitung schildert: „Wenn die EU glaubt, sie könnte das Migrantenproblem mit Flugverboten für nach Minsk fliegenden Fluggesellschaften lösen, täuscht sie sich.“ Denn Migranten kämen – offenbar unter Aufsicht des FSB – auch per Bus aus Moskau nach Minsk.
Tatsächlich bestätigt das polnische Innenministerium: Ein Fünftel der in Polen aufgegriffenen Migranten sei nicht von Belarus, sondern von russischen Städten aus gestartet.
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