Der inhaftierte PKK-Anführer Öcalan hat aufgerufen, die Waffen niederzulegen. Erdoğan verfolgt damit klare Ziele. Doch die Kurden wollen Zugeständnisse.
Vielleicht ist es auch ein Geburtstagsgeschenk, das sich der türkische Präsident selbst machen wollte. Das ist eine These, die gerade herumschwirrt: Dass Recep Tayyip Erdoğan als derjenige in die Geschichte eingehen will, der den Konflikt mit den Kurden gelöst hat. Vor drei Tagen feierte er seinen 71. Geburtstag.
Dass der PKK-Gründer Abdullah Öcalan seine Organisation dazu aufgerufen hat, die Waffen niederzulegen, sorgte für Schlagzeilen. Seit Monaten war darüber spekuliert worden – seit der Parteichef der ultranationalistischen MHP, mit der Erdoğans AKP regiert, im Oktober der Kurden nahen DEM-Partei im Parlament die Hand geschüttelt hat – eine Zäsur. Für die MHP waren DEM-Politiker bisher schließlich "Terrorhelfer".
Nach dem Handschlag wurde Öcalan eingeladen, im Parlament zu sprechen; sein Neffe und andere DEM-Politiker durften ihm auf der Gefängnisinsel İmralı im Marmarameer einen Besuch abstatten, wo er seit über 25 Jahren in Isolationshaft einsitzt. PKK-Anhänger sehen in ihm einen Märtyrer, sein Bild prägen Fahnen auf Demos und Kundgebungen. Die Türkei macht ihn für zahlreiche Terroranschläge verantwortlich. Warum nun der Anstoß zu Aussöhnung?
Friedensprozess mehrmals gescheitert
Schon mehrmals hatte sich Öcalan für eine politische Lösung des Konflikts ausgesprochen, zuletzt 2015. Zuvor hatte es langwierige Verhandlungen mit dem türkischen Geheimdienst gegeben.
Doch eine Einigung scheiterte vor allem, weil Erdoğan damit bei der Wahl vor zehn Jahren seine nationalistischen Wähler zu verstimmen drohte.
Neben der Eingangsthese gibt es noch andere: etwa dass der Machttaktiker Erdoğan den Friedensprozess deswegen vorantreibt, weil er weiter an der Macht bleiben will. Das ist ohne eine Verfassungsänderung nicht möglich, doch dafür braucht er die Stimmen der DEM-Politiker im Parlament.
Dagegen spricht allerdings, dass diesen nach wie vor pauschal vorgeworfen wird, der PKK nahezustehen. Seit den Regionalwahlen vor knapp einem Jahr wurden Dutzende DEM-Bürgermeister verhaftet. Auch viele Demonstrierende landeten im Gefängnis.
Mehr als 30 Millionen Kurden gibt es weltweit, einen eigenen Staat haben sie nicht. Ihr historisches Siedlungsgebiet umfasst Syrien, die Türkei, den Irak und Iran. Die militante "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), gegründet vom in der Türkei geborenen Kurden Abdullah Öcalan und ihre Ableger kämpfen seit den späten 1970er-Jahren für Autonomie. Mindestens 40.000 Menschen sind in dem Konflikt getötet worden. In der Türkei, den USA und der EU gilt die PKK als Terrororganisation.
Viel mehr dürfte es dem türkischen Präsidenten um die Außenwirkung des Aufrufs gehen – vor allem Richtung Syrien, wo die Türkei und ihre Proxy-Miliz gegen die kurdische Autonomie kämpfen. Öcalans Wort hat noch Gewicht in der Kurdenmiliz und den meisten ihrer Ableger wie der PYD in Syrien. Der ehemalige PYD-Chef Salih Muslim übernahm Öcalans Aufruf: "Wenn die Angriffe gegen uns aufhören, werden wir unsere Waffen niederlegen."
Erdoğan will sich Einfluss in Syrien sichern
Auch der syrische Übergangsmachthaber Ahmed al-Sharaa will keine kurdische Autonomie, allerdings auch keinen bewaffneten Konflikt. Mit der Unterstützung eines Friedensprozesses will sich Erdoğan seinen Einfluss sichern – während der Iran geschwächt und Russland mit der Ukraine beschäftigt ist.
Berichten zufolge betreibt auch Israel Annäherungsoffensiven an den syrischen PKK-Ableger. Beide eint die Angst vor ihren Nachbarn. Diese Annäherung will Erdoğan abwehren.
Ist das nun der Friedensschluss nach Jahrzehnten des Konflikts? Für die Kurden ist klar: nicht ohne Zugeständnisse.
"Nur" eine Amnestie für Öcalan oder inhaftierte DEM-Politiker wie Selahattin Demirtaş, den ehemaligen Chef der DEM-Vorgängerpartei HDP, sei nicht ausreichend, sagt Ali Ertan Toprak, Repräsentant der Kurdischen Gemeinschaft in Deutschland zum KURIER. "Die Kurden werden nicht auf ihr Selbstbestimmungsrecht verzichten. Das Mindeste ist, dass die Kurden in ihren Siedlungsgebieten das Recht auf ihre Sprache in Schulen und der Verwaltung erhalten."
Auch Hüseyin Çiçek, Politik- und Religionswissenschafter an der SFU und Uni Wien, ist zurückhaltend: Am Papier existierten viele Minderheitenrechte bereits, umgesetzt würden sie nicht. Çiçek spricht zuerst von einem Erfolg für die türkischen Ultranationalisten: "Die MHP wird sich als staatstragende Kraft inszenieren. Das könnte ihre strategische Bedeutung im politischen Machtgefüge in der Türkei weiter ausbauen.“
Zweifelhaft ist, ob die Kurden überhaupt Forderungen stellen können. Sollten sich die PKK und ihre Ableger dem Aufruf Öcalans widersetzen, kann Erdoğan schließlich einfach weiter gegen die Kurden vorgehen – militärisch und juristisch.
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