2019 traf Erdoğan Trump im Weißen Haus. Die Beziehung war eine bessere als zu Biden, auch wenn Erdoğan und Trump bei Syrien und Israel ungleiche Interessen haben.
Was Trump für Ankara und die Zukunft der Kurden in Syrien bedeutet – und welche Chancen sich auch für die Beziehung zwischen der Türkei und der EU ergeben könnten.
Aus dem Nichts rast die Rakete aus dem Himmel herab, schlägt ein, danach ist nur mehr eine dunkle Explosionswolke zu sehen. Die Szene ereignete sich in der Nähe von Sarrin am Euphrat. Die Rakete wurde von einem türkischen F-16-Kampfflugzeug abgeschossen – jenem Modell, mit dem die USA die Türkei für ein Ende der Blockade des NATO-Beitritts Schwedens belohnt hat.
Die Türkei führt ihre Angriffe auf das autonome und kurdisch kontrollierte Gebiet Nordostsyrien auch nach der Machtübernahme der islamistischen HTS in Syrien fort – genauso wie die Kurden ihren Widerstand. Anfang der Woche starben zwölf Menschen bei einem türkischen Angriff. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte spricht von 400 Menschen, die seit dem Machtwechsel durch Angriffe der Türkei und der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalarmee (SNA) getötet worden sein.
"Mütter und Väter sterben den Märtyrertod und hinterlassen Kinder, die noch nicht laufen können", rief ein Demonstrant auf einer Demo der PYD in der strategisch wichtigen Stadt Kobanê. Für die Türkei ist die PYD wie ihre Schwesternpartei PKK eine Terrororganisation.
Bisher konnten sich die Kurden auf die USA verlassen – die rund 2.000 US-Soldaten, die in Syrien stationiert sind, sind die Lebensversicherung der Autonomieregion. Gemeinsam hat man die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekämpft. Doch hat ein nationalistischer Donald Trump, für den die USA ein von Freunden und Feinden ausgenutztes Land darstellt, daran noch Interesse? Oder hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der droht, andere Länder sollen "ihre Finger von Syrien lassen", jetzt einen Freifahrtschein in Syrien?
US-Soldaten patrouillieren am 9. Januar 2025 in der nordöstlichen syrischen Stadt Qamishli in der Provinz Hasakeh, die größtenteils von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kontrolliert wird.
"Nein", sagt Yaşar Aydın, Türkei-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin dem KURIER. "Syrien ist Trump nicht egal. Die US-Präsenz in Syrien war auch immer ein Druckmittel gegen den Iran und ist für die Sicherheit Israels wichtig."
Genauso sei die Türkei realistisch genug, um zu wissen, dass die Amerikaner die Kurden nicht ohne Weiteres fallen lassen können, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Unter diesem Blickpunkt sieht Aydın auch das jüngste Angebot von Erdoğans Koalitionspartner an den inhaftierten PKK-Anführer Abdullah Öcalan, im Parlament zu sprechen: Diese Initiative sei der Versuch einer "Exit Strategie", um die USA zu einem Rückzug aus Syrien oder zumindest zur Kooperation zu bewegen.
Dagegen spricht, dass derzeit niemand weiß, wie sich die Lage in Syrien unter den neuen Machthabern entwickeln wird – "es braucht auch Kräfte wie die USA, um die Lage zu stabilisieren. Das weiß auch die Türkei," so Aydın.
Auch wenn Trump und Erdoğan bekanntlich Sympathie füreinander hegen: Neben Syrien könnte Israel als zweiter großer Streitpunkt das Verhältnis zwischen den beiden trüben. Trumps US-Botschafter in Israel verteidigt die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland; Trump selbst hat die Sanktionen gegen die Siedler aufgehoben.
Erdoğan wiederum nennt die islamistische Hamas eine Widerstandsgruppe und Benjamin Netanjahu den "Schlächter von Gaza". Trotzdem glaubt Aydın, dass die Beziehung zwischen Trump und Erdoğan ähnlich pragmatisch sein wird wie in Trumps erster Amtszeit – und besser als unter Joe Biden, der Erdoğan in seiner Amtszeit nicht nach Washington eingeladen hat und erst nach einem Jahr im Amt erstmals gesprochen hat.
Kämpfe zwischen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalarmee gegen die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) in der Nähe des Tishrin-Staudamms in der Nähe von Manbij im Osten der Provinz Aleppo, 10. Januar 2025.
Auch Erdoğans Balanceakt zwischen Ost und West könnte Trump aufstoßen. Wobei Erdoğan derzeit wieder mehr gen Westen schwankt: Dem Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) zufolge sind die Exporte der Türkei nach Russland im Vorjahr um 20 Prozent zurückgegangen. Zuvor war der Türkei vorgeworfen worden, sanktionierte Waren aus der EU – etwa Elektrogeräte und Maschinenteile – nach Russland zu liefern und Moskau zu helfen, die Sanktionen zu umgehen. Doch "die angedrohten US-Sekundärsanktionen gegen türkische Banken und Firmen ließen die Exporte nach Russland einbrechen", sagt die wiiw-Ökonomin Meryem Gökten. Sie sieht darin auch eine Chance für eine Wiederannäherung der Türkei an Europa: "Eine engere Wirtschaftsbeziehung könnte auch die politische Annäherung erleichtern – denn die Türkei bleibt für die EU trotz aller bestehenden Probleme strategisch wichtig."
Sollte Trump einmal eine Position Ankaras missfallen, könnte er auf "das schönste Wort im Wörterbuch", nämlich Zölle, zurückgreifen. Noch scheinen die türkischen Angriffe auf die Kurden in Nordostsyrien aber im Rahmen.
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