Fünf Jahre nach dem Inferno: Notre Dame öffnet wieder - dank dieser Menschen
Fünfeinhalb Jahre nach ihrem Brand wird die Pariser Kathedrale Notre-Dame an diesem Samstag wieder eröffnet – hunderte Handwerker, Bildhauer und Restauratoren machten es möglich. Der KURIER sprach mit ihnen.
In der Pariser Kirche Saint-Séverin ist jene fiebrige Nervosität spürbar, die sich bei Proben kurz vor einem anstehenden Konzert einstellt. Der Organist hat bereits angefangen zu spielen, als der Dirigent nochmals zu ihm geht, ihm etwas zuflüstert, zurück vor den Chor kommt und den Einsatz gibt.
Interpretiert wird Gabriel Faurés „Cantique de Jean Racine“, der „Gesang von Jean Racine“: Ein feierliches Werk mit getragenem Rhythmus, ausgesucht für einen besonderen Anlass, nämlich eine Messe am 11. Dezember in der Kathedrale Notre-Dame – eine der ersten nach ihrer Wiedereröffnung am kommenden Samstag, fünfeinhalb Jahre nach dem schweren Brand.
Der Élysée-Palast verspricht ein Großereignis, einen glanzvollen Endpunkt dieses Jahres. Der „Schock“ beim Wiederentdecken der restaurierten Kathedrale werde noch größer sein wie damals bei der Feuerkatastrophe, sagte Emmanuel Macron bei seiner siebten und letzten Besichtigung der „Baustelle des Jahrhunderts“ am vergangenen Freitag.
Aber es werde „ein Hoffnungs-Schock“, versprach der französische Staatspräsident, nie verlegen um große Worte. Er stand dabei leicht überhöht an einem weißen Pult, umringt von den anderen Besuchern, auch dem Pariser Erzbischof Laurent Ulrich.
Bei seinem Besuch wurden erste spektakuläre Bilder aus dem Inneren der Kathedrale gezeigt: Die Wände strahlen in hellem Weiß, die Farben der Wandgemälde in frischem Glanz. Durch die restaurierten Fenster fällt mehr Licht als zuvor.
Aus dem Flammen-Inferno wiedergeboren
Während bei der Eröffnung am kommenden Wochenende nur Auserwählte – darunter Politiker aus dem In- und Ausland, Großspender und auch einige Monarchen – das erneuerte Innere des gotischen Meisterwerks zu sehen bekommen, kennen es jene längst, die in der Kirche Saint-Séverin für ihren Auftritt proben.
Mehr noch: Sie hatten einen wesentlichen Anteil an dem gelungenen Ergebnis, denn sie haben das Bauwerk restauriert und wieder aufgebaut. Die Mitglieder des „Chors der Gesellen von Notre-Dame“ sind Steinmetze oder Schreiner, Bildhauer und Restauratoren.
Die Angehörigen der verschiedensten Berufsgruppen, die sich jahrelang auf der Baustelle trafen, beschlossen irgendwann, nicht nur gemeinsam zu arbeiten, sondern auch miteinander zu singen.
Zu ihnen gehört Felicja Lamprecht, die eingehüllt in ihre weiße Winterjacke zwischen den anderen Soprans in der Kirche Saint-Séverin sitzt und mit dem Blick konzentriert den Bewegungen des Dirigenten folgt. Sie ist Hobby-Sängerin, Künstlerin und Restauratorin, spezialisiert auf Wandmalereien.
Sie erinnere sich noch genau an das Flammen-Inferno damals – das war „ein riesiger Schock“, sagt sie. Rasch wurde sie ins Restaurationsteam geholt. Die 38-Jährige war schon an vielen Baustellen von Pariser Monumenten beteiligt, seit sie nach dem Studium in ihrem Heimatland Polen nach Frankreich zog. „Weil es schnell gehen musste, wurden besonders viele Arbeitskräfte auf einmal gebraucht.“
Sie und ihre Kolleginnen kümmerten sich um die Restaurierung der Wandgemälde von zwölf Seitenkapellen im Chorbereich. In ihrem Handy hat die junge Frau dutzende Bilder und Videos von den Arbeiten gespeichert. So kann sie den Unterschied zwischen dem Vorher und dem Nachher zeigen.
So wurde Notre-Dame restauriert
Dort, wo heute die Bilder auf hellen Mauern in kräftigen Farben strahlen, waren die Wände zuvor grau oder schwarz, von Rußspuren gezeichnet. Zentimeterhohe Staubschichten und uralte Spinnennetze galt es zu entfernen.
Das Feuer, das vom Mittelschiff aus durch eine Art „Kamin-Effekt“ nach oben loderte, zerstörte unter anderem das aus dem 13. Jahrhundert stammende Balkenwerk, das Dach und einen Teil des Gewölbes. Andere Bereiche wie die Seitenkapellen wurden weniger stark in Mitleidenschaft gezogen als zunächst befürchtet.
Diese wurden nicht mehr restauriert, seit der Architekt Eugène Viollet-le-Duc Notre-Dame 1864 umfassend umgestaltet hat. Tatsächlich hatten entsprechende Arbeiten noch vor dem Brand begonnen. „Normalerweise nimmt das sehr viel Zeit in Anspruch“, sagt Felicja Lamprecht. „Nur galten seit dem 15. April 2019 andere Regeln.“
Sie selbst sei – wie viele Experten – skeptisch gewesen, als Präsident Emmanuel Macron am Tag nach der Katastrophe, dem 16. April 2019, bei einer Rede im Fernsehen versprach, die Kathedralein nur fünf Jahren wiederaufzubauen – und zwar „noch schöner als zuvor“. Er reagierte damals auf die immense Bestürzung im ganzen Land und darüber hinaus angesichts des teils zerstörten Kirchenbaus.
Viele nannten Macron größenwahnsinnig oder schlichtweg unwissend, der es wagte, eine Parallele mit den genialen Bauherren der rund 850 Jahre alten Kathedrale und der heutigen Zeit zu ziehen. Er tat das auch aus politischem Kalkül heraus, unter Druck gesetzt durch die „Gelbwesten“-Protestbewegung, die sich auf ihrem Höhepunkt befand.
Er wollte den Menschen neue Hoffnung geben, ein Gefühl der Stärke vermitteln. „Wir sind ein Volk der Erbauer“, versicherte er.
Macron: "Wir haben der Welt gezeigt, dass nichts der Kühnheit widersteht"
Das Land steckt längst in einer weiteren Krise und Macron erscheint geschwächter denn je – doch hinsichtlich Notre-Dame behielt er Recht. Nur gut fünf Jahre dauerte es, um die Kathedrale wieder für Besucher und Gläubige öffnen zu lassen, während die Arbeiten an der äußeren Fassade noch länger andauern werden.
„Es stimmt, man hat uns anfangs oft gesagt, dass es verrückt ist, dass es willkürlich ist, dass wir es nicht hinbekommen würden“, führte der Präsident am Freitag auf der Baustelle aus. „Aber Sie haben der Welt gezeigt, dass nichts der Kühnheit widersteht“, wandte er sich an die Beteiligten.
Möglich war der enorme Kraftakt der Innen-Restaurierung in Rekordtempo auch, weil nicht gespart werden musste. Spenden in Höhe von 846 Millionen Euro gingen ein, aus insgesamt 150 Ländern. In Hoch-Zeiten arbeiteten rund 500 Personen gleichzeitig auf der Baustelle.
Ein Bildhauer erzählt
Der Bildhauer Philippe Giraud half dort ab Sommer 2023 zeitweise aus. Der 57-Jährige lebt und arbeitet in der Normandie und verstärkte immer wieder das Team, wenn beispielsweise die Restaurierung eines Mauerabschnitts rasch abgeschlossen werden musste, um den Schreinern Platz zu machen.
Auch er ist Teil des Chors, denn dieser entspreche dem „mittelalterlichen Geist von Notre-Dame“, sagt er. „In der Zeit, als die Kathedrale erbaut wurde, sangen die Arbeiter auf den Baustellen, es gab Prozessionen und Messen.“ Er nehme aus der Erfahrung auf der Baustelle vor allem ein außerordentliches Gefühl des Zusammenhalts der Arbeiter untereinander mit.
Vielleicht werde er auch in der Zukunft immer wieder einspringen. „Dann hoffentlich mit etwas mehr Ruhe und weniger Zeitdruck“. Auch wenn nur dieser möglich machte, dass Notre-Dame im Dezember 2024 wieder besucht werden kann.
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