Nordirland: Tödlicher Gruß vom Bürgerkrieg

Der Tod einer Reporterin bei einer Razzia ruft Ängste vor Rückkehr der Gewalt wach.

Die einzigen bunten Flecken in der Creggan-Siedlung sind riesige Graffiti an den Hauswänden: Porträts von getöteten Kämpfern der Terrorgruppe IRA, Maskierte Männer mit Maschinenpistolen, irische Fahnen. In diesen ärmlichen Reihenhäusern am Stadtrand von Derry machen viele kein Hehl aus ihren Überzeugungen. Hier sind Nordirlands Katholiken unter sich – und mitten unter ihnen jene Radikalen, die sich heute noch dem Frieden in Nordirland entgegenstellen.

Donnerstagabend marschierte die Polizei im Viertel auf: eine Razzia auf der Suche nach Waffen. Man hatte Informationen über Anschläge zu Ostern erhalten.

Nordirland: Tödlicher Gruß vom Bürgerkrieg

Graffiti im Katholikenviertel von Derry

Feinde des Friedens

Ein Datum, das in Nordirland nicht nur religiöse Bedeutung hat. Am Karfreitag wurde 1998 das Friedensabkommen für Nordirland abgeschlossen. Jenes Abkommen, das 30 Jahre Bürgerkrieg in der britischen Provinz beendete. Bis heute gibt es radikale Gruppen auf beiden Seiten, die diesen Frieden nicht akzeptieren wollen. In Derry haben sie sich festgesetzt. Die Stadt ist streng in katholische, also pro-irische, und protestantische, also pro-britische Viertel geteilt. Wie einst im Bürgerkrieg, in dem Derry einer der Hauptschauplätze war.

Bewaffnete Kämpfer

Am Donnerstag schien es, als wäre dieser Bürgerkrieg wieder aufgeflammt. Die Polizei wurde mit Molotowcocktails in der Siedlung empfangen. Bald brannten die Autos am Straßenrand. Im Getümmel tauchten auch bewaffnete Kämpfer auf: Mitglieder einer katholischen Untergrundorganisation, die sich „Neue IRA“ nennt. Es sind selbst ernannte Nachfolger der IRA, also jener katholischen Terrorgruppe, die im Bürgerkrieg gegen die Polizei und die britische Armee kämpfte. Die Schüsse, die sie abfeuerten, galten eigentlich der Polizei, mehrere Kugeln aber trafen eine Reporterin: Lyra McKee, 29, Aufdecker-Reporterin aus Derry, und eine der einflussreichsten jungen Journalisten des Landes. Lyra hatte sich in vielen Berichten mit dem Bürgerkrieg und seinen Folgen bis in die Gegenwart beschäftigt.

Nordirland: Tödlicher Gruß vom Bürgerkrieg

Lyra McKee, die ermordete Reporterin

Auch in Derry geht seit Monaten die Angst vor einer Rückkehr dieses Bürgerkrieges um. Die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland ist zur Kernfrage in der Diskussion um den Brexit geworden. Diese Grenze war mit dem Friedensabkommen beinahe verschwunden. Verlässt Großbritannien die EU, könnte sie sich wieder schließen – und der Terror des Bürgerkrieges zurückkehren.

Eine düstere Vorahnung darauf lieferte die „Neue IRA“ in ihrer hasserfüllten Stellungnahme. Die „Truppen der britischen Krone“ – so nennen die Terroristen Nordirlands Polizei – seien schuld am Tod der Reporterin. Die hatte in einer letzten Twitter-Mitteilung vor ihrem Tod klar gemacht, wie sie die Explosion alter Feindseligkeiten an diesem Abend empfand: „Derry heute Abend, völliger Wahnsinn.“

Kommentare