Nobelpreis an Abiy Ahmed: "Hätten sich alle Äthiopier verdient"

Das ganze Volk habe für die Demokratie gekämpft, betont der äthiopische Intellektuelle Surafel Wondimu im KURIER-Gespräch.

Er ist ein Pendler zwischen den Welten: Theater und Fernsehen sind sein eigentliches Metier, aber der äthiopische Kulturwissenschaftler Surafel Wondimu ist auch ein feiner und präziser Beobachter der politischen Umwälzungen in seiner Heimat. Dass jüngst sein Landsmann, Premier Abiy Ahmed, den diesjährigen Friedensnobelpreis für seinen demokratischen Reformeifer erhielt, sieht der Bühnenautor im KURIER-Gespräch differenziert.

„Er hat die Auszeichnung unter anderem für die Aussöhnung mit Eritrea erhalten. Da waren die Spannungen zuvor schon sehr hoch. Selbst durch Familien gingen da Risse. Was den Wandel in Äthiopien anbelangt: Den hat eigentlich das Volk bewirkt, das für Demokratie gekämpft hat, der Regierungschef war ein Teil davon, eigentlich hätten sich den Preis alle verdient“, sagt der 46-Jährige, der auf Einladung der entwicklungspolitischen NGO VIDC jüngst in Wien war.

Vertrauensaufbau nötig

Tatsächlich habe sich in den vergangenen eineinhalb Jahren (Abiy Ahmed kam im April 2018 an die Macht) einiges zum Positiven verändert. So seien die Pressegesetze liberalisiert worden, was Wondimu dazu animierte, den Privat-TV-Sender Asham mitzubegründen. Auch die so genannten Anti-Terror-Gesetze, mit denen zuvor politische Regime-Gegner mundtot gemacht wurden, seien gelockert worden, so der Intellektuelle.

 

Dennoch sei noch ein weiter Weg zu gehen: „Wir kommen von einem autoritären System, das wir internalisiert haben. Das führt mitunter zu Selbstzensur, was zu überwinden ist. Dazu ist es notwendig, Vertrauen aufzubauen.“

Denn Äthiopien sei weiterhin tief gespalten – in ethnischer Hinsicht (zuletzt kamen bei Kämpfen mehr als 60 Menschen ums Leben) und in ökonomischer Hinsicht, da es weiterhin eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich gebe. Zudem herrsche noch längst keine Geschlechter-Gleichheit, analysiert Wondimu. Die jungen Menschen würden nach Gerechtigkeit, kultureller Identität und vor allem nach Jobs dürsten.

Hilfe – ohne Diktat

Dass sein Heimatland bis 2025 zu den „middle income countries“ zählen will (was das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf anbelangt), sieht er als nicht prioritär an. „Wichtiger wäre die Armutsbekämpfung. Man muss wissen, dass in Äthiopien 80 Prozent der Bevölkerung kleine Bauern sind. Wenn man nur die makro-ökonomischen Daten im Blick hat, könnte das zu Lasten der Armen gehen.“ Unterstützung vom Westen für den Transformationsprozess sei durchaus erwünscht, „aber es kann nicht sein, dass uns Bedingungen diktiert werden, wie es etwa der Internationale Währungsfonds macht“, fordert der Ex-Vize-Dekan der geisteswissenschaftlichen Universität in der Hauptstadt Addis Abeba. Generell wünscht er sich, dass weltweit die „globale Perspektive“ in den Mittelpunkt gerückt wird.

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