Neuwahlen: Netanyahu tritt Flucht nach vorn an

Netanyahu stellt sich Neuwahlen
Es könnte zu einem Lagerwahlkampf kommen: Aufgeklärt-Liberale gegen Orthodoxe.

Keiner wollte sie, keiner braucht sie: Trotzdem stimmten am Mittwoch 84 Abgeordnete im israelischen Parlament für Neuwahlen. Sie sollen am 17. März stattfinden.

Von einer politischen Zwangslage kann keine Rede sein. Daher warf Premier Benjamin Netanyahu noch am Vorabend seine beiden gemäßigten Minister, Zipi Livni und Jair Lapid, aus dem Kabinett. Offener Krieg, doch mit fadenscheinigen Argumenten. Nur ein Grund kann diese Neuwahl-Entscheidung glaubhaft erklären: Sie bietet Netanyahu derzeit die beste Möglichkeit, noch etwas länger im Amt zu bleiben.

Neuwahlen: Netanyahu tritt Flucht nach vorn an
Orthodox Jews take part in a Tashlich prayer, the Jewish New Year ritual, on the shore of the Mediterranean Sea at the costal city of Ashdod September 25, 2014. REUTERS/Amir Cohen (ISRAEL - Tags: RELIGION)
In Umfragen schneiden zurzeit zwar weder Netanyahu noch seine Likud-Partei gut ab, die Zahl der Mandate sinkt, die Popularität des Premiers fiel sogar von 77 Prozent im August auf 38 vergangene Woche. Aber auch seine Koalitionspartner und die derzeitige Opposition sehen nicht gut in Umfragen aus.

Netanyahus größte Gefahr sind neue politische Blöcke und Parteigründungen. Sie formen sich erst in diesen Tagen oder zeichnen sich vorläufig nur verschwommen am politischen Horizont ab. Ein kurzer schneller Wahlkampf soll daher über die Runden gehen. Bevor die neuen Kräfte Wurzeln im Bewusstsein der Wähler schlagen können.

Noch gibt es keinen beherrschenden Herausforderer, der als neuer Hoffnungsträger den Erfahrungsvorsprung Netanyahus ausgleichen könnte. Soll heißen: Im kommenden Wahlkampf stehen die Wähler vor nur einer Entscheidung: Netanyahu – ja oder nein?

Er selbst stellt sich als der erfahrene Führungspolitiker vor, der mehr Handlungsfreiheit für sich fordert. Die Opposition möchte den Wahlkampf aber zum grundsätzlichen Kampf um Israels Zukunft sehen: Ein kompromissloses Groß-Israel mit allen Siedlungen oder ein aufgeklärtes Israel, das um des Friedens willen zum Verzicht bereit ist und verhandelt.

Als Auftakt dazu war Netanyahus Rede im Parlament keine Glanzleistung. Im Radiosender Kol Israel hieß es: "Netanyahu erwähnte allein die Unfähigkeit seiner Koalition, nicht aber die Schwächen seiner Führung." Jetzt reagiere er wehleidig. Mit Wehleidigkeit hat Netanyahu in seinen bisherigen Wahlkämpfen aber nicht gut abgeschnitten. Immer wenn er als "Mr. Sicherheit" antrat, siegte er. Doch sein zugkräftigstes Argument, "Bei mir herrscht Ruhe!", zieht gegenwärtig nur schwach. In den vergangenen Monaten stieg die Spannung vor allem um Jerusalem mit Straßenunruhen und spontanen Terror-Anschlägen von Einzeltätern.

"Nicht die Interessen Israels, sondern die Netanyahus führten zu Neuwahlen", meinte daher Oppositionschef Isaac Herzog. Für ihn machte Netanyahu sogar Werbung in seiner Rede: "Der Wähler soll klar entscheiden zwischen Mitte-Links oder Mitte-Rechts." Sprich Sozialdemokraten oder Likud.

Neue Kräfte stören da nur. Sie zeichnen sich aber bereits ab. Mosche Kachalon gründete eine neue Sozial-Partei. Als Minister hatte er die Telefon-Gebühren drastisch gesenkt – die einzige der nach den Sozialprotesten 2011 versprochenen Reformen, die umgesetzt wurde. Netanyahu ekelte den nunmehrigen Konkurrenten aus seiner Likud-Partei. Im Wahlkampf könnte Kachalon zu einer neuen Lichtgestalt werden.

Weitere Unbekannte in der Wahlgleichung: Die Bildung neuer Blöcke aus kleineren Parteien. Formen sich Religiös-Nationale, Orthodoxe oder die arabischen Parteien zu neuen Großparteien, sind die Auswirkungen nur schwer absehbar.

Derzeit steht es 135 zu 58. Das heißt, eine 70-Prozent-Mehrheit der 193 UN-Mitgliedsstaaten hat sich für die Anerkennung Palästinas ausgesprochen. Zwar befindet sich darunter kein mächtiges EU-Land. Aber in den nationalen Parlamenten von Großbritannien, Frankreich und Spanien haben jeweils mehr als 50 Prozent der Abgeordneten für die Anerkennung gestimmt. Diese Voten sind zwar nicht bindend, dennoch bedeuten sie Rückenwind für die palästinensische Staatswerdung.

Bereits im Jahr 1988 hatte die PLO ein unabhängiges Palästina proklamiert – in den Grenzen vor dem Sechstagekrieg, der 1967 unter anderem mit der Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes durch Israel endete. Rund 60 Länder anerkannten schon damals das Gebilde. In der Folge kamen Dutzende weitere Länder dazu. 2012 wurde den Palästinensern der Beobachterstatus bei der UNO eingeräumt, auch Österreich stimmte damals dafür und wurde von Israel gerügt.

Innerhalb der EU haben Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien sowie Malta und Zypern Palästina anerkannt. Im Oktober 2014 entschied sich mit Schweden das erste westliche EU-Mitglied für diesen Schritt. Die USA können sich dies (ebenso wie Deutschland) erst nach einer endgültigen Friedenslösung vorstellen. Auch Österreich ist derzeit gegen eine Anerkennung.

Mit Spannung wird eine diesbezügliche Abstimmung im Europaparlament erwartet, die noch im Dezember über die Bühne gehen soll. Vor dem Votum reiste unter anderem Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Österreich, nach Brüssel, um gegen eine Anerkennung zu lobbyieren.

"Welche Motivation haben dann die Palästinenser, irgendeine Kompromissbereitschaft zu zeigen (wenn sie ihren Staat hätten)", fragte Deutsch rhetorisch. Zudem verwies er auf den gestiegenen Antisemitismus in Europa – auch in Österreich.

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