Neustart für Flüchtlingspolitik bei Innenminister-Treffen
"Adhoc-Verfahren" – was spontan und schnell klingt, ist in Wahrheit ein kompliziertes und oft wochenlanges Prozedere geworden. Menschen, die auf dem illegalen Weg nach Europa im Mittelmeer in Seenot geraten, können derzeit nur durch dieses Adhoc-Verfahren auf bereitwillige Mitgliedsstaaten verteilt werden. Für die meisten Beteiligten eine unbefriedigende Lösung.
Deshalb haben sich Deutschland und Frankreich für ein zeitlich begrenztes Arrangement eingesetzt, das heute, Montag, in Malta besprochen werden soll. Dort wollen die Innenminister aus Frankreich, Deutschland, Italien und Malta eine Quotenregelung schaffen. Das soll zwar nur ein Zwischenschritt sein – aber "immer noch besser als ein Adhoc-Verfahren", so ein Sprecher der deutschen Regierung.
"Offene Häfen"
Anfang September wartete der Rettungstanker "Ocean Viking", betrieben von "Ärzte ohne Grenzen" und der internationalen Organisation "SOS Méditerranée", auf Anlegeerlaubnis in Italien. Was der bisherige Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini ausdrücklich und strengstens verboten hatte, wurde durch die neu gebildete italienische Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und sozialdemokratischem PD auf einmal möglich.
Salvini klagte den – in seinen Augen verantwortungslosen – Zug der neuen Regierung umgehend an: "Die Häfen sind offen für alle. Italien wird wieder zum Flüchtlingslager Europas. (Premier; Anm.) Conte hat vor Brüssel kapituliert." Doch fünf EU-Staaten meldeten sich zur Aufnahme der Migranten und nahmen Salvini den Wind aus den Segeln: Deutschland, Irland, Portugal, Luxemburg und Frankreich.
Angespornt von den innenpolitischen Veränderungen in Rom versuchen offenbar die Regierungen in Berlin und Paris, die Zeit ohne Salvini auszunutzen, um für eine solidarische Verteilungspolitik zu werben – vorübergehend, wie auch heute in Malta betont werden wird.
"Falsche Signale"
Langfristig soll jedenfalls eine andere Lösung her – "auf ganz vielen europäischen Schultern", wie es heißt. Doch inwiefern die EU-Staaten dafür ins Boot zu holen sind, ist vorerst offen.
Wo sich Österreich hier positionieren wird, lässt sich angesichts der gegenwärtigen innenpolitischen Lage schwer sagen. Eine Rückfrage bei Vertretern der Parteien bestätigt im Wesentlichen die bekannten Standpunkte.
Ex-Kanzler und VP-Chef Sebastian Kurz beurteilte im Gespräch mit dem KURIER die Forderung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Premier Giuseppe Conte sehr kritisch: Er halte diese "Entwicklung auf europäischer Ebene für höchst problematisch", es brauche "einen konsequenten Außengrenzschutz und nicht die ständige Debatte darüber, wie wir Migranten in Europa verteilen können", so Kurz. "Wenn die falschen Signale an die Schlepper gesendet werden, kann die Situation schnell wieder schlimmer werden – und wir haben 2015 erlebt, wohin das führen kann."
"Politisches Kleingeld"
Für "europäische Lösungen" sprach sich die grüne Bundesrätin Ewa Ernst-Dziedzic aus. Die vorherige Bundesregierung habe bei dem Thema nur "politisches Kleingeld" gewechselt, "nicht einmal den Migrationspakt" habe man unterschrieben. Für die von den Grünen geforderte Kursänderung sei ein Innenminister "ohne Scheuklappen" nötig.
Ähnlich EU-Abgeordnete Claudia Gamon von Neos: Sie hofft, dass viele Regierungschefs die Chance nutzen, welche die neue italienische Regierung aus ihrer Sicht mit sich bringe. Im Übrigen dürfe man Außengrenzschutz und Flüchtlingsverteilung nicht gegeneinander ausspielen, hält sie gegenüber der Kurz’schen Position fest.
Konträr dazu sieht ein FPÖ-Sprecher den Abgang Salvinis als "Signal an alle, die kommen wollen", eine neue Flüchtlingswelle sei zu befürchten. Nur in einer österreichischen Regierung mit FP-Beteiligung sei eine Fortsetzung der bisherigen Flüchtlingspolitik gewährleistet.
Österreich habe in Sachen Flüchtlingsaufnahme bereits viel geleistet, so ein SPÖ-Sprecher. Für die Zukunft gelte es, "den ersten vor dem zweiten Schritt" zu machen. Es brauche "einen größeren Wurf für die Neuaufstellung des europäischen Asylsystems mit einheitlichen Verfahrensregeln, Verfahrenszentren nach UNHCR-Menschenrechtsstandards zum Beispiel in Nordafrika und Rückführungsabkommen". Andernfalls "werden wir auch in einem Jahr, in zwei oder auch noch in vier Jahren über die Verteilung von Bootsflüchtlingen sprechen".
EU-Asylpolitik
Seit 2016 geplant: Die EU-Kommission hat im Mai 2016 ein Asylpaket mit sieben Gesetzesvorhaben präsentiert. Zwei davon – die Reform der Asylverfahrensordnung und die Verteilung der Flüchtlinge – sind immer noch nicht realisiert.
Koalition der Willigen: Während die Idee der Verteilung nach Quote nicht in der gesamten EU durchzusetzen war, weil sich vor allem Tschechien, Polen, Ungarn und die Slowakei weigerten, werden nun auf Initiative Berlins und Roms Staaten gesucht, die freiwillig Flüchtlinge aufnehmen.
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