Wir werden weniger: Warum Österreich weniger schrumpft als Spanien oder Italien
"Das ist eine Revolution in der Geschichte der Zivilisation“, sagt Richard Horton, Chefredakteur der Fachzeitschrift The Lancet.
Was er damit meint: Eine in seinem Journal publizierte Studie prognostiziert erstmals, dass die Weltbevölkerung nicht ewig weiterwächst, sondern ab 2064 zu schrumpfen beginnt. Das wäre deutlich früher als angenommen, die UNO etwa ging bisher von einem Wachstum bis 2100 aus (siehe Teaser); und es wäre der erste Rückgang seit der Pestzeit um 1350.
Im Jahr 2100, so die Studie von Christopher Murray und Kollegen von der University of Washington, sollen nur 8,8 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Der Höchststand mit 9,7 Milliarden ist Mitte des Jahrhunderts erreicht.
China halbiert sich
Der Grund dafür: die Emanzipation der Frauen. Steigt ihr Bildungsgrad, sinkt die Geburtenrate, so die einfache Formel, seit den 1970ern in Europa unter „Pillenknick“ bekannt. Der Effekt trifft nun vermehrt Schwellenländer. Von 195 Staaten weltweit werden im Jahr 2100 laut Prognose 183 Geburtenraten haben, die sie auf Dauer schrumpfen lassen.
23 Länder würden sich binnen der nächsten 80 Jahre sogar halbieren – darunter Japan, Italien, Spanien, Polen und sogar China. Bevölkerungsreichster Staat der Erde wäre 2100 Indien, dicht gefolgt von Nigeria. Afrika – vor allem die Subsahara-Region – ist der einzige Erdteil, der wachsen soll, die Bevölkerung verdreifacht sich.
Europa verliert Einfluss
Die Folge daraus? „Afrika und die arabische Welt werden unsere Zukunft prägen, während Europa und Asien an Einfluss verlieren“, sagt Horton. Hierzulande schrumpfen die Staaten nicht nur, sie werden auch älter, ihnen fehlen dadurch Arbeitskräfte. Hart trifft dies Spanien und Italien, sie rutschen im globalen Wirtschaftsranking weit ab. „Tragisch wäre die Lage auch in Polen, Kroatien oder im Baltikum, wo der Faktor Abwanderung hinzukommt“, sagt Tomáš Sobotka, Demografie-Forscher an der Akademie der Wissenschaften in Wien, zum KURIER. Lettland etwa schrumpft von 1,95 Millionen auf 430.000.
Österreich schrumpft weniger
Österreich verliert hingegen wenig Bevölkerung – die Prognose sagt bis 2100 einen Rückgang auf 6,58 Millionen voraus, den Höchststand hätten wir mit 9,07 Millionen schon in 13 Jahren erreicht. „Die Gründe dafür sind die vergleichsweise hohe Geburtenrate von 1,5 – Italien etwa hat 1,33. Dazu kommt die höhere Einwanderung hierzulande“, sagt Sobotka. Österreich würde 2100 also auch wirtschaftlich besser dastehen als andere Länder Europas.
Freilich, ob diese „Revolution“ auch so eintritt, ist offen. Denn all das sind Prognosen, wie Sobotka auch sagt: „Alles, was über einen Zeithorizont von 30, 40 Jahren hinausgeht, hat ein hohes Maß an Unsicherheit.“ Bis 2064 heißt es darum: Abwarten und Tee trinken.
Kommentare