Neue Gefahren für Mays Brexit-Zeitplan

Theresa May: Hält ihr Plan, den Austrittsprozess im März 2017 zu starten?
Dass das EU-Referendum rechtlich nicht bindend ist, darauf verweisen Brexit-Gegner schon länger. Nun hat es auch eine Höchstrichterin klar ausgesprochen.

"Das Referendum war für das Parlament rechtlich nicht bindend."

Es ist nur ein Nebensatz aus einer Rede einer britischen Höchstrichterin. Aber er ist geeignet, die ohnehin schon heißen Debatten über die Umsetzung des Brexit-Referendums in Großbritannien weiter zu befeuern.

Brenda Hale, Vizepräsidentin des Supreme Court of the United Kingdom, hielt die Rede vergangenen Mittwoch vor Rechtsstudenten in Kuala Lumpur, Malaysia, wie der Independent heute berichtete. Es ging um das Berufungsverfahren im Dezember, in dem das Höchstgericht des Landes endgültig über den aktuellen Brexit-Streit entscheiden soll.

Verzögerung

Worum geht es in dem Streit? Durch eine Entscheidung des Londoner High Courts am 3. November wurde der Brexit-Zeitplan der Regierung empfindlich in Gefahr gebracht. Das Gericht entschied im Sinne der Brexit-Gegner, dass die geplanten Austrittsverhandlungen mit der EU nicht über die Köpfe der Londoner Parlamentsabgeordneten gestartet werden können. Premierministerin Theresa May will dennoch an dem Ziel festhalten, die Verhandlungen über den geplanten EU-Austritt im März nächsten Jahres ohne Zustimmung des Parlaments einzuleiten. Daher wurde ein Rechtsmittel gegen das Urteil des High Court eingelegt.

Neue Gefahren für Mays Brexit-Zeitplan
Justices of the Supreme Court leave the new Supreme Court of the United Kingdom after being sworn in at the Middlesex Guildhall in Parliament Square in London, Britain October 1, 2009. REUTERS/Luke MacGregor/File Photo
Sollte die Entscheidung der Richter allerdings vor dem Supreme Court Bestand haben, könnte sich der Beginn der Brexit-Verhandlungen zwischen London und der EU weiter verzögern. Bisher war vorgesehen, dass die Verhandlungen im Laufe des Jahres 2019, also rund zwei Jahre später, beendet sein werden.

Hale erklärte in ihrer Rede nicht nur, dass das Brexit-Votum rechtlich nicht bindend ist, sie deutete überdies an, dass das EU-Beitrittsgesetz von 1972 möglicherweise nicht einfach durch das Parlament außer Kraft gesetzt werden kann, sondern durch eine "umfangreiche" Gesetzgebung ersetzt werden muss. Dies könnte den Brexit um weitere Jahre verzögern.

"Kein Vorausblick auf das Ergebnis"

Aufgrund einiger Kommentare zu Hales Rede (im Besonderen zu Seite 12) sah sich der Oberste Gerichtshof dazu veranlasst, eine Stellungnahme dazu abgegeben: Hale habe einfach die Argumente beider Seiten ausschnittweise präsentiert. Es sei vollkommen in Ordnung, dass aktive Richter die Argumente in derart wichtigen Fällen einer breiteren Öffentlichkeit darlegen. "Auf keinen Fall hat Lady Hale damit einen Vorausblick auf das mögliche Ergebnis gegeben", heißt es in der Erklärung.

Aufgeheizte Stimmung

Nach dem Gerichtsurteil zum Brexit Anfang November kam es zu teils harschen Reaktionen der bekannt lauten britischen Presse. So hatte beispielsweise die Daily Mail die zuständigen Richter als "Feinde des Volkes" bezeichnet. Der Gerichtsentscheid sei mit "unverhohlenen Angriffen auf die Unabhängigkeit der Justiz" beantwortet worden, bemerkte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks. Diese Angriffe seien auch auf die Kläger ausgeweitet worden.

Die Klägerin Gina Miller sagte der BBC Ende vergangener Woche, sie habe Vergewaltigungs- und Enthauptungsdrohungen erhalten. Zudem seien Forderungen laut geworden, sie solle nach Guyana abgeschoben werden, wo sie geboren wurde. In einer TV-Diskussion mit der Fondsmanagerin Miller sagte der bekannte Rechtspopulist und EU-Kritiker Nigel Farage, er erwarte "Unruhen", wenn der Brexit noch verhindert würde.

Geheimpapier: Noch kein Brexit-Plan

Bereits am Dienstag berichteten die BBC und die Times über ein geleaktes Geheimpapier, wonach das Kabinett May gespalten über den weiteren Austrittprozess sei. Es gebe noch keinen "Regierungsplan für den Brexit". Außerdem könnten weitere sechs Monate und 30.000 zusätzliche Beamte notwendig sein, um ein entsprechendes Konzept auszuarbeiten. Derzeit werde an 500 Brexit-bezogenen Projekten gearbeitet.

Die beiden Fronten in der Regierung bestehen demnach aus drei Brexit-Befürwortern, Außenminister Boris Johnson, Brexit-Minister David Davis und Außenhandelsminister Liam Fox, auf der einen Seite; sowie Schatzkanzler Philip Hammond und Wirtschaftsminister Greg Clark auf der anderen Seite.

Die Regierung wiegelt allerdings ab: Sie habe den Bericht nicht in Auftrag gegeben und erkenne den Inhalt nicht an. Das Papier "habe überhaupt nichts mit der Regierung zu tun", sagte ein Sprecher. "Es wurde von einem Einzelnen aus einem externen Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen erstellt." Das interne Memo stamme von der Consultingfirma Deloitte, berichtet die BBC.

Artikel 50

Die Briten hatten sich am 23. Juni in einem Referendum für einen EU-Austritt ihres Landes entschieden. Die konservative Premierministerin Theresa May, die sich beim Referendum gegen einen Brexit aussprach, will Ende März nächsten Jahres Artikel 50 auszulösen. Artikel 50 des Vertrags von Lissabon regelt den Austritt eines Mitgliedslandes.

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