Sderot könnte auch kurz vor den Wahlen am Montag, den dritten binnen eines Jahres, Israels verschlafenste Stadt sein. Wären da nicht ständig die Angriffe aus dem Gazastreifen. Wenn es eine Stadt gibt, in der sich der Misserfolg von Premier Benjamin Netanjahu zeigt, dann ist es Sderot: Raketen seit 20 Jahren. Elf davon regierte Netanjahu, hier nur als „Bibi“ bekannt.
"Bibi. Es gibt keinen anderen"
Die Leute im Café wissen dennoch genau, wen sie wählen: „Bibi. Es gibt keinen anderen.“ Alex ist die Ausnahme. Er wanderte vor 28 Jahren aus der Ukraine ein und wählt rechts, wie (fast) alle hier: „Aber nicht Netanjahu. Dem ist Israel egal. Würde er einen anderen aus seiner Partei vorlassen, hätten wir längst eine Regierung. Aber er schmeißt zum dritten Mal Milliarden für Wahlen aus dem Fenster. Warum? Die Richter warten auf ihn. Betrug, Untreue, Korruption. Er will nicht in den Häf’n.“
Alex wehrt sich gegen den Vorwurf, er unterstütze die Linke: „Ich wähle Lieberman. Der ist sogar rechter als Netanjahu.“ Nur Malvina, Alex’ Frau, nickt zustimmend. Rachel, die Schwiegermutter, schimpft wie die anderen: „Alle wollen sie Netanjahu fertigmachen. Justiz, Presse. Sogar seine Frau Sarah verschonen sie nicht. Aber sie hält durch. Eine starke Frau.“
Zigarren und Schmuck
Jetzt läuft Alex rot an: „Wo leben wir eigentlich? Ist das noch Israel oder sind wir bei Putin? Hätte die starke Frau sich mehr rausgehalten, müssten wir nicht zum dritten Mal wählen. Sie hat sich doch Champagner und Schmuck von ihren Milliardären kommen lassen.“ Malvina versucht, zwischen Mutter und Mann zu vermitteln: „Die 100-Dollar-Zigarren hat er aber schon geraucht.“
Netanjahus Familie genießt nur bei ausgesprochenen Bibi-Fans Ansehen. Weshalb die Wahlkampf-Strategen alles taten, Sarah wie Sohn Yair hinter den Kulissen zu halten. Ein Mal traten sie vereint auf und es kam zum Skandal. Beim Fußball-Spiel der Clubs Betar Jerusalem und Arbeiter Tel Aviv. Auf Hebräisch: Rechts (Betar) gegen Links. Als Rechts verlor, war das für Sarah eine Schande. Mit lautem Schimpf in der Betar-Umkleidekabine.
Junge hübsche Politikerin verhindert
Im Wahlkampf zog Sarah diskret die Fäden. So rief sie die Frauen aller rechten Parteiführer an. Was die Wahl einer Frau an die Spitze einer neuen Rechtsliste verhinderte: Ayelet Schaked ist jung und sieht gut aus. Sie fiel daher bei Sarah in Ungnade.
Sohn als Strippenzieher
Auch Yair, Netanjahus Sohn, machte Schlagzeilen. Etwa mit einem Besuch im Strip-Lokal, abgesichert durch öffentlich bezahlte Leibwächter. Aber auch er kann leise die Fäden ziehen. So wurde einer seiner Parteifreunde Justizminister. Der ernannte einen neuen Chefankläger, dieser leitete zehn Tage vor den Wahlen Ermittlungen wegen Betrugsverdachts gegen Oppositionschef Benny Gantz ein.
Auch rechte Juristen halten das für unangemessen. Für Nir Chefez, früher Netanjahus rechte Hand und heute Kronzeuge der Anklage, kam das nicht überraschend. Er berichtete im Verhör über Wutausbrüche des Sohns – auch gegen den Vater. Es sei vorgekommen, dass Netanjahu mit einer Entscheidung ins Wochenende ging und nach zwei Tagen mit Frau und Sohn mit einer anderen zurückkam.
„Erdoğanisierung“
Gantz sprach zuletzt von einer Erdoğanisierung Israels und einer „Bedrohung für Gesellschaft und Demokratie“.
Letzte Umfragen sagen Netanjahu starken Stimmenzuwachs voraus. Er bleibt aber von der magischen Mehrheit von 61 Stimmen weit entfernt. Selbst die brächte ihm keine Immunität. Im Likud gibt es entschlossene Gegner einer solchen.
Alex in Sderot sieht die Zukunft trotz allem gelassen: „Optimisten bereiten sich auf Wahlgang Nummer vier vor. Ich bin Pessimist – ich warte auf Nummer fünf.“
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