Auch bei Nehammers eintägigem Staatsbesuch drängt sich ein Krieg in den Vordergrund ursprünglich entspannt angelegter Gespräche: Der Kanzler verkündete von Ankara aus, dass eine Hercules-Militärmaschine ab Mittwoch ausreisewillige Österreicher aus Israel ausfliegen wird.
Von Erdoğan wiederum ließ sich Nehammer persönlich über dessen Vorhaben informieren: Der Präsident will zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas vermitteln. Mit mehreren Regierungschefs der Region hat der türkische Staatschef bereits telefoniert, er befürchtet, dass sich der Krieg "nicht in 14 Tagen beenden lässt. Aber ich werde es versuchen", sagte Erdogan. Am Ende aber müsse "ein gerechter Frieden stehen", und das sei eine Zweistaatenlösung; mit einer palästinensichen Hauptstadt Jerusalem und Israel in den Grenzen von 1967.
Nehammer traut ihm die Vermittler-Rolle durchaus zu. Schon zu Beginn des Ukraine-Krieges hatte der Kanzler den Rat Erdoğans eingeholt, ehe er selbst nach Moskau geflogen war.
Kein "Kuschelkurs"...
Als geopolitischer Player hat die Türkei in den vergangenen Jahren massiv an Gewicht gewonnen, und so war es auch eine Überlegung der österreichischen Regierung, nach Jahren schlechter Atmosphäre gegenüber Ankara: Die Beziehungen zur Türkei müssen wieder auf bessere Beine gestellt werden – zumal man in Fragen der Migration, der Wirtschaft und der Geopolitik ohnehin nicht vorbeikann.
"Es gibt keinen Kuschelkurs zwischen Österreich und der Türkei, und wir machen auch keine falschen Versprechungen, was einen EU-Beitritt der Türkei betrifft", sagte Nehammer vor seinem Treffen mit Erdoğan, "aber wir haben jetzt doch wieder eine tragfähige Beziehung zu Türkei."
Wobei Erdogan nach dem Treffen mit dem Kanzler klar stellte: Die Türkei müsse sehr wohl Mitglied der EU werden, "nur so kann es ein vollständiges Europa sein."
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Am deutlichsten spüren den Stimmungswandel die österreichischen Unternehmen in der Türkei. 1.500 Unternehmen sind in der Türkei aktiv, 250 haben Niederlassungen. "Die vergangenen zehn Jahre haben wir uns in der Türkei sehr geplagt", schildert Alexander Schwab, Senior Vize-Präsident des steirischen Wasserkraftunternehmens Andritz. Und ein Chef eines großen heimischen Konzerns bestätigt: Jedes Mal, wenn der frühere Kanzler Sebastian Kurz eine rhetorische Spitze gegen die Türkei losgelassen habe, sei ein Auftrag gestrichen worden.
Die Bemühungen, die gegenseitigen Beziehungen wieder zu aufzuhellen, kommen aber auch von Seiten Ankaras. "Die Türkei steht wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand", schildert der Politologe Kenan Güngör. Auch wenn Präsident Erdoğan mit der Ernennung eines neuen Zentralbankchefs und einem neuen Kurs seine sogenannte "unorthodoxe Wirtschaftspolitik" beendet hat, bleiben die ökonomischen Probleme groß: Die Inflation liegt noch immer über 60 Prozent, nach viermaliger Zinserhöhung, beträgt das Zinsniveau jetzt 30 Prozent. Das, so bestätigt der nach Ankara mitgereiste WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf, "würgt die privatwirtschaftlichen Investitionen fast ab, aber es ist unvermeidlich, um die Inflation zu bekämpfen".
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Doch die größeren Geschäfte in der Türkei tun sich ohnehin derzeit auf dem Bereich der Erneuerbaren Energie auf, ein Sektor, wo es staatlicher Genehmigungen braucht. Ein Sektor, wo Wohl und Wehe also letztlich wieder beim starken Mann in der Türkei zusammenkommen.
Wie sehr Erdoğan auf die österreichische Wirtschaftskraft setzt, zeigt das abendliche Staatsbankett. Alle mit Nehammer mitgereisten Unternehmen waren in Erdogans Präsidentenpalast mit eingeladen – "das wäre früher undenkbar gewesen", bestätigt ein Diplomat.
... und keine Visa-Freiheit
Thema des nur eintägigen Besuchs in Ankara war aber auch die Migration. Denn wer in Österreich um Asyl ansucht, "hat in 80 Prozent aller Fälle einen direkten oder indirekten Bezug zur Türkei", bestätigt Innenminister Gerhard Karner. 3.000 Asylanträge von türkischen Staatsbürgern sind heuer bis Ende August gestellt worden. Die Anerkennungsquote liege allerdings nur bei 2,3 Prozent, sagte Karner. Der weitaus größere Teil von in Österreich ankommenden Migranten aber hatte die Türkei als Durchgangsland gequert. Noch bessere Zusammenarbeit mit der Türkei erhofft sich Karner deshalb "beim Kampf gegen die illegale Migration und dem Grenzschutz".
Bei einem Wunsch der Türkei gab es allerdings von österreichischer Seite eine klare Absage: Eine völlige Visafreigabe für Türken, wie es Erdoğan von der EU einfordert, "kommt nicht in Frage", sagte Karner. Verhandelt werden aber derzeit zwischen EU-Kommission und Ankara eine Visa-Erleichterung – also vor allem für Studenten und Geschäftstreibende aus der Türkei.
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