Naturhistorisches Museum retourniert 846-teilige Fossilsammlung
Im ersten Moment war Catherine Mayer alarmiert, als der Briefträger mit eingeschriebenem Brief an ihre Haustür in London klopfte. Ihr Mann war kurz zuvor verstorben. Sie hatte Sorge, dass die Nachricht ein neuerliches Gefühlschaos auslösen würde. Fast hätte sie ihn also gar nicht angenommen.
Doch dann sah sie den Namen der Bundesrepublik Österreich, den Briefkopf der Israelitischen Kultusgemeinde und überflog die ersten Zeilen. Und so war ihr zweiter Gedanke: „Das muss ein Scherz sein.“
Denn in dem Brief wurde der britischen Autorin und Journalistin Catherine Mayer mitgeteilt, dass eine Sammlung des Naturhistorischen Museums, an sie und weitere rechtmäßige Erben zurückgegeben werde. Genauer gesagt: eine 846-Stück-starke Sammlung von Fossilien, die zu den größten Schenkungen gehört, die das Museum je erhalten hatte.
18.500 Objekte, 52.000 Bücher
Es war die Empfehlung des österreichischen Kunstrückgabebeirats, basierend auf den Recherchen der Kommission für Provenienzforschung. „Diese“, erläutert deren Leiterin Pia Schölnberger beim Gespräch in ihrem Wiener Büro, „arbeitet alle Erwerbungen in den staatlichen Sammlungen ab 1933 systematisch und proaktiv auf.“
Sie untersucht, ob Objekte durch die Nationalsozialisten verfolgungsbedingt in den Besitz des Staates gekommen sind. 15.800 Objekte und 52.000 Bücher sind seit 1998 zur Rückgabe an die Erben der früheren Eigentümer empfohlen worden. Dazu dürften bald 846 Fossilfunde hinzukommen.
Obwohl der Beschluss dazu 2021 erfolgte, erreichte Catherine Mayer die Nachricht erst zwei Jahre später. Doch das ist gar nicht so ungewöhnlich. Denn um alle Erben ausfindig zu machen, müssen zunächst Archive durchforstet, etwaige Namensänderungen berücksichtigt und Stammbäume erstellt werden.
Im konkreten Fall wurde der Erbenforscher Mathias Lichtenwagner in US-amerikanischen und englischen Zeitungsarchiven fündig. Er konnte Catherine Mayer als Stiefgroßnichte von Georg Rosenberg ausmachen.
Geologie-Liebhaber
Georg Rosenberg war Buchhalter mit einer Leidenschaft für die Geologie. Er besuchte regelmäßig Vorlesungen des Naturhistorischen Museums, beteiligte sich an Exkursionen in den Alpen und veröffentlichte wissenschaftliche Artikel. Im April 1938 schenkte er seine gesamte Fossilsammlung aus dem ostalpinen Raum dem Naturhistorischen Museum. Sie wurde also nicht enteignet, Rosenberg übertrug sie dem Museum selbst.
Nach dem Krieg kehrte er auch nach Wien zurück, vermachte dem Museum dann auch noch vereinzelte Fossilfunde. Und so war der Fall zunächst nicht eindeutig: War die Erwerbung der Sammlung doch nicht als bedenklich anzusehen?
Doch dann fielen Thomas Mayer, Provenienzforscher am Naturhistorischen Museum Wien, die Briefe in die Hände.
Jener Schriftverkehr zwischen Georg Rosenberg und dem Museum, der deutlich machte, dass Rosenberg zwar aus vermeintlich freien Stücken, aber nicht freiwillig von seinen Funden getrennt hatte.
„Von einem persönlichen Besuche der Landesanstalt möchte ich aber nach wie vor absehen“, schrieb er im September 1938 in einem Brief an die Reichsstelle für Bodenforschung, „da ein Wiedersehen dieser geliebten Stätte an der ich zwanzig Jahre lang die Ehre hatte, meiner Studien pflegen zu dürfen, nach all dem Furchtbaren, das ich in den letzten Monaten erlebte, für mich seelisch kaum erträglich wäre.“
Überstürzte Flucht
Georg Rosenberg hatte nur wenige Tage vor der Schenkung seine Arbeit verloren; ein knappes Jahr später gelang ihm und seiner Ehefrau Anna die Flucht nach Palästina. Georg hielt sich dann einige Jahre als Hausierer über Wasser, bis er beim britischen Militärdepot als Schreibkraft anheuern konnte und Anna einen Job als Bedienerin fand.
Nach Kriegsende mussten sie zwei Jahre lang urgieren, bis ihnen ein Personalausweis ausgestellt wurde. Mit diesen neuen Erkenntnissen war der Fall für Kunstrückgabebeirat klar. Er empfahl die Restitution der Objekte.
Doch Catherine Mayer und ihre Mutter Anna, ebenfalls eine rechtmäßige Erbin, wissen nicht so recht, was sie mit der Sammlung anfangen würden. „Am liebsten wäre uns“, sagt Catherine Mayer bei einem Treffen in einem Londoner Café, „die Objekte würden im Museum bleiben. Mit einer Zusatztafel, die die unglaubliche Geschichte von Georg Rosenberg verweist.“
Das stößt auf zwei Probleme. Einerseits stellt das Naturhistorische Museum (wie die meisten auf der Welt) nur einen Bruchteil seines Bestandes tatsächlich in den Schauräumen aus. Der Rest wird in Depoträumlichkeiten bewahrt. Es kann also nicht garantiert werden, dass Georg Rosenbergs Name so an die Besucher gelangt.
Die komplexe Rückgabe
Andererseits ist die Provenienzforschung klar in ihrer Vorgangsweise: NS-verfolgungsbedingt entzogene Objekte sind an die Rechtsnachfolger der früheren Eigentümer in natura zu restituieren. Konkret sind das rund zehn Personen, da Georg Rosenberg Witwe zwei Geschwister hatte und zudem schon mehr als 80 Jahre vergangen sind.
„Wenn die Familie die Stücke nicht behalten möchte, sind wir, soweit es unsere Möglichkeiten zulassen, gerne dabei behilflich, die verschiedenen Wege, die hier beschritten werden können, aufzuzeigen. Was mit den Fossilien geschehen soll, diese Entscheidung obliegt allein der Familie“, sagt Pia Schölnberger. Der letzte Schritt wird nun sein, dass sich diese auf eine Lösung einigt.
Das für Catherine Mayer wertvollste Stück hat sie aber bereits erhalten. Es ist ein Briefwechsel ihres Stief-Großonkels, den ihr das Naturhistorische Museum zugesandt hat. „Das ist ein Einblick in Georgs Gedanken, ein Stück Familiengeschichte!“
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