Erst am Montag verlangte Balasz Orbán, politischer Berater von Premier Viktor Orbán, von der Regierung in Stockholm Garantien, dass sie sich in Zukunft mit Kritik gegen Ungarns Innenpolitik zurück halten werde.
Ungarn steht bekanntlich wegen seiner Eingriffe in den Rechtsstaat und die freien Medien im Rest der EU in Misskredit.
Koranverbrennung und Kurden
In der Türkei hatte eine Koranverbrennung vor der türkischen Botschaft in Stockholm für Aufregung gesorgt. Vor allem aber verlangte Staatschef Erdoğan von Schweden für seine Zustimmung zum NATO-Beitritt die „Auslieferung von 120 Terroristen“.
Gemeint sind zumeist kurdische Oppositionelle, teils mit schwedischer Staatsbürgerschaft – hier kann Stockholm nicht nachgeben.
Dabei hatte es für Premier Ulf Kristersson und Außenminister Tobias Billström seit dem Antritt der Mitte-rechts-Regierung im Oktober höchste Priorität, das NATO-Prozedere rasch hinter sich zu bringen.
Man setzte auf Entgegenkommen: Ein „Antiterrorgesetz“, dass im Juni in Kraft tritt und die Mitgliedschaft in verbotenen Vereinigungen unter Strafe stellt, sollte die Stimmung in Ankara heben.
Kein Plan B
Einen Plan B hat Schweden offiziell nicht, wie Billström einräumte. Eine Hoffnung ist die türkische Präsidentschaftswahl am 14. Mai. Sollte Kemal Kilicdaroglu, der sozialdemokratische Kandidat, gewinnen, wären die Chancen für Schweden weit besser.
Die Zeitung Aftonbladet sieht die Zukunft jedoch düster: „Die Türkei und Ungarn wollen Schweden vor allem demütigen“, schreibt sie. Beide stünden dem Kreml nahe.
Wichtige Insel Gotland
Sollte sich die Wartezeit verlängern, wäre Schweden aus dem Sicherheitskonzept der NATO für Skandinavien ausgeschlossen und müsste seine Verteidigungspolitik überdenken, sagt Kjell Engelbrekt, Dozent an der Hochschule für Verteidigung in Stockholm.
Betroffen seien auch Militärabkommen mit Finnland. Eines besagt etwa, dass einander beide Länder im Angriffsfall beistehen können, ohne dass ein Parlamentsvotum dazu stattfinden muss.
Schweden, genauer dessen Ostsee-Insel Gotland, ist für die NATO wie für Russland von strategischer Bedeutung. Denn die „Suwalki-Lücke“, ein sechzig Kilometer breites polnisches und litauisches Gebiet, das das russische Kaliningrad von Belarus abtrennt, könnte Ziel einer russischen Aggression sein.
Wer in diesem Fall Gotland militärisch beherrscht, kann den Luft- und Seeraum dieses Gebiets kontrollieren.
„Finnlands und Schwedens Mitgliedschaft stärken die Sicherheit der ganzen Allianz“, appellierte Sanna Marin gestern an die Türkei und Ungarn. Es sei daher „im Interesse aller“, dass Schweden vor dem NATO-Gipfel am 11. und 12 Juli in Vilnius ebenfalls ein Mitglied sei.
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