Warum ein Rechter Mob einen Stützpunkt der israelischen Armee stürmte
Vermummte, rechtsextreme jüdische Siedler wollen eine israelische Armeebasis stürmen
„Der Mob übernimmt die Herrschaft“, hieß es am Dienstag in der Zeitung Haaretz. Doch war es nicht nur Mob, der in der Nacht zuvor zwei Militärbasen in Israel stürmte. Angeführt wurden die zum Teil vermummten Aufrührer vom "Minister für Israels Abwehrkraft" Jizchak Wasserlauf. Von der Partei Jüdische Stärke, die am rechts-extremistischen Rand der Regierung von Premier Benjamin Netanjahu sitzt.
Aber auch dessen Likud-Partei war mit Talli Gotliv vertreten. Eine Abgeordnete, die eine gut zu verkaufende Medien-Pose noch schneller erkennen kann als ihr Chef. Keine aufgebrachte Opposition protestierte hier, sondern eine chaotische Regierung: Gegen sich selbst. Gegen den Staat Israel.
Der Anlass: Am Montag nahm die Militärpolizei acht Soldaten fest. Unter dem Verdacht, einen Hamas-Gefangenen in ihrer Basis Sde Teman im Süden Israels sexuell brutal angegriffen und verletzt zu haben. Zeugenaussagen wie ärztliche Gutachten bekräftigen den Verdacht. Mehrere Clips der razzia-ähnlichen Festnahmen wurden Minuten später in den Netzwerken hochgeladen.
Kurz darauf rottete sich der Mob im Beisein auch der ersten Politiker vor dem Tor zur Basis zusammen. Es kam zum Sturm, der von den Soldaten mit Muskelkraft allein nicht aufgehalten werden konnte.
Gewalt gegen Zivilisten ist Soldaten strengstens verboten. Der Mob zog ungestört durch die Basis. Die nur spät eintreffende Polizei konnte die Basis nur mit Mühe räumen.
Im Militärlager Sde Teman werden Palästinenser aus dem Gazastreifen gefangen gehalten und verhört. Sie sind verdächtig, sich am blutigen Massaker vom 7. Oktober der militant-islamistischen Hamas-Miliz beteiligt zu haben. Nach neun Kriegsmonaten mit weiteren Gefangennahmen ist die Basis mittlerweile überfüllt.
Von Anfang an kam es zu Gerüchten, aber auch Medienberichten, in Zusammenhang mit den in Sde Teman herrschenden harten Haftbedingungen. Verbundene Augen und Dauerfesselung wurden mit der hohen Fluchtgefahr erklärt. Die Basis ist nicht hermetisch abgesichert. Hinzu kam, dass in Israel nach der Ermordung und Vergewaltigung von 1200 Israelis am 7. Oktober die Empathie für mörderische Terroristen einen neuen Tiefpunkt erreichte.
Besucher nicht mehr möglich
Zuvor übliche Besuche des Internationalen Roten Kreuzes bei palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen sind seit Kriegsausbruch gesperrt. Solange die Hamas IRK-Besuche bei den in Gaza festgehaltenen israelischen Geiseln verbietet. Israel behandelt festgenommene Terroristen nicht als Kriegsgefangene, sondern als kriminelle Straftäter. Die Verhöre in Sde Teman sollen Anklageschriften gegen mutmaßliche Hamas-Angehörige vorbereiten. Die sprunghaft angestiegene Zahl der Gefangenen verhindert jedoch eine Verlegung in die ohnehin überfüllten Gefängnisse.
Jüdische Siedler im Westjordanland nahe der Stadt Tulkarem reißen einer Palästinenserin eine palästinensische Fahne aus der Hand
In den letzten Monaten kam es zu israelischen Selbstkontrollen. Etwa durch den Ärzteverband oder die Militärstaatsanwaltschaft. Dabei festgestellte Missstände wurden jedoch nur teilweise abgeschafft. Die Festnahmen am Montag sollten auch Israels unabhängige Kontrollfähigkeit beweisen. „Ohne sie droht Israel in den Status eines Pariah-Staates abzurutschen“, warnt die Zeitung Haaretz.
Der aufgehetzte Mob in Sde Teman wiederum schrie am Montag nach Straffreiheit für Frontsoldaten ähnlich amerikanischen und britischen Regelungen. Auch ein Gesetz zur schärferen Bestrafung von Hamas-Angehörigen wurde gefordert. Ähnlich dem israelischen Gesetz zur Bestrafung von Nazis.
Wobei die mit dem Mob marschierenden Politiker aus Netanjahus extremistischen Umfeld nur einen weiteren Beweis für die chaotischen Doppelstandards dieser Koalition beisteuerten: Denn beide Gesetze liegen abstimmungsreif vor.
„Netanjahu ist es, der die Vorlage dieser Gesetze verhindert“, erinnerte am Dienstag der Oppositionsabgeordnete Avigdor Lieberman. Er nimmt an, dass der Premier zaudert, weil er sich vor internationaler Kritik fürchtet. Er könnte aber auch zaudern, weil er im selbst angerichteten Chaos keinen Ausweg mehr weiß.
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