SPD ringt um politische Ausrichtung

Gesine Schwan und Martin Schulz.
Gesine Schwan, das "SPD-Gewissen", rät ihrer Partei, die Europapolitik ins Zentrum zu rücken.

Was hat die SPD nicht schon alles gestritten: Über Reform oder Revolution, Ostverträge, NATO-Doppelbeschlüsse. Am Sonntag ging es aber um mehr: Nämlich, ob sie in Zukunft weiter politische Kraft sein wird. Sollte sie erneut in eine Große Koalition eintreten, wird sie ihr Profil verlieren, bald von der Bildfläche verschwinden, so die Gegner. Die Befürworter sehen hingegen nur darin eine Chance: Nämlich für Land und Leute zu arbeiten. Sie haben sich knapp mit 56,4 Prozent durchgesetzt. Jetzt wird verhandelt. Parteichef Martin Schulz traf gestern Abend bereits mit Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer zusammen, um sich zu beraten.

Was alle wissen: Das Votum war knapp, verschafft der SPD aber durchaus einen unberechenbaren Machtfaktor für die Verhandlungen: nämlich die anstehende Entscheidung ihrer 443.000 Parteimitglieder, die den Koalitionsvertrag absegnen. Um sie zu überzeugen, müssen die Sozialdemokraten in ihren Verhandlungen noch einiges durchsetzen. Und die Union, die vom Votum der roten Genossen abhängig ist, wird ihnen entgegenkommen müssen.

Finanzminister für SPD?

Zum Beispiel mit den geforderten "Nachbesserungen" im Sondierungspapier. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil ist zuversichtlich: "Wir haben einen inhaltlichen Auftrag mitbekommen, noch über einige Punkte zu reden, die wir in den Sondierungen nicht erreicht haben." Das wären: Die Befristung von Arbeitsverhältnissen abschaffen; die Honorar-Ordnungen für gesetzlich und privat Krankenversicherte angleichen und eine substanzielle Härtefallregelung beim Familiennachzug von Flüchtlingen einführen.

Aber es geht auch um eine längerfristige Ausrichtung er SPD innerhalb einer Großen Koalition. Gesine Schwan, Politikwissenschaftlerin und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, sieht diese in der Europapolitik, dort könne sich die Partei wieder politisch erkennbar machen und profilieren. Der erste Griff sollte daher zum Finanzministerium führen, da dort die Weichen gestellt werden – und nur dann könne es einen Neuanfang geben. Die bisherige Europapolitik beruhe nur auf deutschen Interessen, man habe keinen Konsens mit kleineren Ländern gesucht. Das Verhalten in der Bankenkrise war gegen eine gesamteuropäische Solidarität gerichtet. "Die SPD hat immer gegen den Sparkurs gewettert, da könnte sie Alternativen aufzeigen." Sollte die SPD diesen Akzent nicht im Koalitionspakt setzen, werde sie als SPD-Mitglied nicht für das Bündnis stimmen.

Ein Grund, warum dies einige Mitglieder ebenfalls nicht tun könnten, ist die Angst vor der "Verzwergung" neben CDU/ CSU. Zu Recht, findet Schwan. Denn obwohl ihre Partei gute Politik gemacht habe, sei die am Ende "nicht wahrgenommen worden." Die SPD muss daher mehr nach außen treten, ihre Anliegen öffentlich machen und aufzeigen, wenn diese nicht umgesetzt werden, so Schwan. Bei den anderen Partnern seien die Motive deutlich: die einen sind nur an Machterhalt interessiert, die anderen stellen ihren anstehenden Wahlkampf über alles, "das erhöht deren Reputation nicht", sagt die Politologin.

Gelitten hat auch die von Martin Schulz: Nachdem er den Delegierten nur knapp ein Ja abringen konnte, zweifeln Beobachter an seiner Führungsstärke. Dennoch gehe Schwan davon aus, dass er es noch "eine Weile macht".Auch als Minister in Merkels Kabinett? Schulz lässt noch alles offen. Druck bekommt er allerdings aus den eigene Reihen. Bevor es zum Mitgliedervotum kommt, müsse er Farbe bekennen, mahnte Frederick Brütting, Landesvize von Baden-Württemberg. Er favorisiert einen Parteichef ohne Ministerposten.

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