Hessen-Debakel setzt Koalition in Berlin weiter unter Druck

Hesse state election 2018
Trotz herber Verluste bleibt CDU stärkste Kraft, im Bund drängen Konservative und SPD auf Veränderung.

Mehr als zehn Prozentpunkte weniger, eine Zahl wie eine Watsch’n für die hessische CDU, ebenso für die Bundespartei und ihre Vorsitzende Angela Merkel. Man ist von 38,3 Prozent auf 27 Prozent abgerutscht.

Dennoch geht am Sonntagabend kurz ein Aufatmen durch die Berliner CDU-Zentrale. Auf den Bildschirmen erscheinen die ersten Hochrechnungen: Eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition scheint möglich. Nach einem Hin und Her bei den Hochrechungen ist es erst in der Nacht Gewissheit: Trotz schwerer Verluste kann die hessische CDU weiter mit den Grünen regieren. Dank starker Gewinne der Grünen hat Schwarz-Grün eine Mehrheit von einem Sitz im neuen Landtag, der durch Überhangmandate deutlich größer ist als der alte.

Möglich wäre auch eine Jamaika-Koalition von CDU, Grünen und FDP. Unwahrscheinlich ist eine Große Koalition. Die SPD rutschte auf 19,8 Prozent runter, die Grünen haben deutlich dazugewonnen (19,8 Prozent). Dem vorläufigen Endergebnis zufolge erhielten die Grünen genau 94 Stimmen mehr als die Sozialdemokraten. Dahinter landen AfD (13,1 Prozent), FDP (7,5 Prozent) und Linke (6,3 Prozent).

Für CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ist es ein „typisches hessisches Ergebnis“ – „sehr eng.“ Ihr war klar: "Es wird brauchen, bis wir Gewissheit haben“.

Mit der Fortsetzung von Schwarz-Grün zufrieden wäre auch die Kanzlerin, deren Zukunft mit der Hessen-Wahl verbunden wurde. Vor allem mit Blick auf den Parteitag im Dezember, wo sie sich zur Vorsitzenden wählen lassen will. Sollte das innerparteiliche Beben für sie ausbleiben, könnte ihr dennoch von anderer Seite Ärger drohen.

Hessen-Debakel setzt Koalition in Berlin weiter unter Druck

Auch schwere Schlappe für SPD

Die SPD musste nach Bayern erneut eine schwere Schlappe einstecken und verlor gut zehn Prozentpunkte. Für Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel ist das besonders bitter. Seit er die hessische SPD 2008 übernommen hat, trat er drei Mal an – ohne Erfolg. Obwohl der 49-Jährige einen Wahlkampf-Marathon absolvierte, 2700 Kilometer zurückgelegt hat: Die Stimmung war gut, berichteten Helfer, Themen wie bezahlbares Wohnen kamen an. „Das ist ein ehrlicher Typ“, meinte ein Genosse bei einer Kundgebung zum KURIER – „aber er hat wenig Strahlkraft und haut nicht auf den Tisch“.

Keine sichtbaren Erfolge

Und da wäre noch die Performance der SPD in der Berliner Koalition, die ein zerstritten wirkendes Bild bis nach Hessen lieferte. Die Menschen sehen keine Ergebnisse, „es wird zu viel gelabert und zu wenig gemacht“, kritisierte Schäfer-Gümbel im Wahlkampf. Auch nach der gestrigen Niederlage klagte er über den fehlenden Rückenwind.

Der linke SPD-Flügel forderte bereits vor Tagen ein Mitgliedervotum über den Ausstieg aus der Koalition. Parteichefin Andrea Nahles warnte am Freitag im Gespräche mit dem Redaktionsnetzwerk ihre SPD, „übereilt oder gar kopflos zu reagieren“.

Am gestrigen Wahltag kündigte sie inhaltliche Konsequenzen an: „Es muss sich in der SPD etwas ändern.“ Außerdem sei der Zustand der Koalition nicht akzeptabel, sie verlangt einen „verbindlichen Fahrplan“. An die Union adressierte sie: Sie müsse ihre „inhaltlichen und personellen Konflikte“ lösen , wobei sie vermutlich Horst Seehofer im Blick hat. Die SPD macht den CSU-Innenminister für den Streit in der Koalition verantwortlich.

Änderungsbedarf sieht auch CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer, die einen Hauptgrund für das „enttäuschende Ergebnis“ ebenfalls im Erscheinungsbild der Koalition ortet: „Sie leistet gute Arbeit, überdeckt sie aber mit Streit.“ Man dürfe nicht mehr länger diskutieren, „ob wir zusammenregieren oder nicht – wir müssen besser werden“.

Auch der liberale FDP-Chef Christian Lindner hat sich zu Wort gemeldet: Sollte die Koalition in Berlin scheitern, wäre seine Partei bereit eine CDU-CSU-Minderheitsregierung zu unterstützen, um "die Handlungsfähigkeit des Landes sicherzustellen." Einen erneuten Versuch eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen zu schmieden, hat Lindner ausgeschlossen.

Der Chef des SPD-Nachwuchses, Kevin Kühnert, erklärte die Groko per Twitter indirekt für beendet. "Der Ruf der WählerInnen lautet nicht: Zurück zur Sacharbeit!" schrieb er nach der Wahl in Hessen. Der Juso-Chef hatte schon nach der letzten Bundestagswahl gegen eine Koalition mit der Union mobil gemacht.

Hessen: Deutsches Polit-Labor

Koalitionen. Die Experimente waren schon oft Vorbild für den Bund

Mit den Turnschuhen kam der Umbruch: Als sich Joschka Fischer 1985 leger gekleidet mit Sneakers in Wiesbaden zum Umweltminister vereidigen ließ, war dies der Beginn der ersten rot-grünen Landesregierung. 1998 sollte dieses Modell in Berlin die Regierung stellen. Auch dort war Fischer beteiligt – als Vizekanzler und Außenminister neben Gerhard Schröder

Nicht wenige spekulieren daher, dass die bisherige Koalition Schwarz-Grün in Zukunft auch  für den Bund tauglich ist. Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Tarek Al-Wazir (Grüne), der zuletzt zum beliebtesten Landespolitiker gekürt wurde, führten seit 2013 eine Koalition ohne großen Streit. Dass die Grünen auch in der Bundesregierung mitmischen wollen, ist bekannt. Das Credo von Bundesparteichef Robert Habeck: Nicht nur die Öko-Draufgabe sein, rein in die Mitte, aber bloß nicht die bessere CDU werden. 

Die Sorge vieler Grünen, dass ihnen ein solches Bündnis schaden würde, hat sich zumindest gestern in Hessen widerlegt: Die Grünen fuhren mit 19,4 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis ein. 
 

Birgit Schwarz (ORF) analysiert Hessen-Wahl

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