Mursi: Ein Islamist für jedermann

Mursi: Ein Islamist für jedermann
Mohammed Mursi, ehemaliges Führungsmitglied der Muslimbrüder, will Präsident "aller Ägypter“ sein. Eigentlich war er nur zweite Wahl.

Mohammed Mursi ist nervös.  Das kann er nicht verbergen. Bei seiner ersten Ansprache an die Nation stand ihm die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben. Er ist der erste frei gewählte Präsident des größten arabischen Landes, Millionen Ägypter hoffen auf ihn – und der Rest der Welt auf ein stabiles Ägypten.

Der Kandidat der Muslimbrüder, der wie versprochen nach seinem Wahlsieg seine Mitgliedschaft bei der Bewegung zurückgelegt hat, stand vor seinem Pult, rundlich, mit besorgtem Blick, und  las seine erste Rede an die Nation von einem Zettel ab.

Mursi rief zur Einheit auf und streckte seine Hand in Richtung der Christen und der   Anhänger seines Stichwahlgegners, Ahmed Shafik, aus. "Ich bin Präsident von allen Ägyptern", war seine wichtigste Botschaft. Noch am Montag wollte er mit der Regierungsbildung beginnen. Die Ägypter werden dann sehen, ob Mursi Wort hält und Christen, Frauen sowie junge Leute einbindet.

Keiner weiß, wie es in Ägypten weiter gehen wird. Auch er nicht. Das sagt sein verhaltenes Lächeln. Er ist der "zufällige" Präsident, sagen die Ägypter. Nur weil der eigentliche Kandidat der Muslimbrüder, Vorsitzender Khairat al-Shater, disqualifiziert worden war, kam der 60-jährige Mursi aus der zweiten Reihe zu seiner Chance.  Ein Doktor der Werkstoffwissenschaft, der in den USA studiert und gelehrt hat, ein verheirateter Muslim mit fünf erwachsenen Kindern. Er war von 2000 bis 2005 als unabhängiger Abgeordneter im Parlament und wegen seiner Mitgliedschaft bei den Muslimbrüdern auch für kurze Zeit im Gefängnis.

Mohammed Mursi hat sich in seinen ersten Wahlkampfreden als konservativer Muslim dargestellt, versprach mehrmals die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts. Wenngleich er später beschwichtigte: Es gebe keinen großen Unterschied zwischen dem, was in der aktuellen Verfassung steht – "den Prinzipien der Scharia" –, und der Scharia selbst.

Beschnittene Mächte

Mursi hat die Präsidentschafts-Stichwahl in Ägypten vom 17. Juni für sich entschieden, das wurde am Sonntag offiziell verkündet. Er ist jetzt Präsident mit beschnittenen Kompetenzen, erst vor wenigen Tagen hat der interimsmäßig regierende Militärrat seine Macht eingeschränkt. Mursi wird nicht Oberbefehlshaber der Armee sein, er wird die Zustimmung des Militärrats brauchen, wenn er einen Krieg erklären will oder die Streitkräfte im Inneren des Landes einsetzen will.

Das gilt für die Zeit, bis es in Ägypten eine neue Verfassung gibt. Die wird frühestens im Herbst fertig geschrieben sein. Erst dann wird klar, wie mächtig der Präsident überhaupt sein wird.

Ein erstes starkes Statement setzte er aber bereits. Er werde den Präsidentschaftseid nicht vor dem Verfassungsgericht ablegen. Er mache das nur vor dem im Jänner  gewählten Parlament, das eine islamistische Mehrheit hatte  und das der Militärrat vor Kurzem aufgelöst hat. 

Israels Ängste

Gratulationen für Mursi kamen aus Amerika und Europa. Auch Israels Premier Netanyahu schickte einen Gruß. Er hoffe, dass Ägypten nach der Wahl Mursis am Friedensvertrag festhalten werde. Wenig später kam der Dämpfer: Eine iranische Zeitung veröffentlichte ein Mursi-Interview, in dem er  erklärte, dass er engere Beziehungen zu Israels Erzfeind Iran anstrebe, um "Gleichgewicht in der Region" zu schaffen. Laut Interview wolle er auch den Friedensvertrag überarbeiten, was Mursi später dementierte.

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