Mühsame Einigung beim EU-Videogipfel: Suche nach Finanzlösung vertagt
Ob alle rund um einen Tisch in Brüssel oder beim virtuellen Video-Gipfel: Eines scheint bei den Treffen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs immer gleich zu sein. Viel länger als geplant dauern die Sitzungen, zu weit auseinander liegen die Standpunkte der EU-Granden auseinander, nur mit Mühe, wenn überhaupt lassen sich Einigungen erzielen.
So war es auch am Donnerstag Abend. Die Nerven lagen vor allem bei Italiens Premier Giuseppe Conte blank. Er verweigerte zunächst die Unterschrift unter das vorbereite Abschlussdokument und sagte: "Zu schwach" sei die die vorgeschlagene Lösung, es brauche "wirklich innovative und angemessene Finanzinstrumente".
Die Kompromisslösung: In zwei Wochen sollen nun die 19 Länder der Eurozone neue Vorschläge zur Geldpolitik vorlegen, mit denen die verheerenden wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise besser bekämpft werden können.
Der Streit dreht sich offenbar um die Corona- oder Eurobonds. Sie würden vorsehen, dass die EU-Länder gemeinsam Schulden machen, um den Kampf gegen das Virus und die Stabilisierung der europäischen Volkswirtschaften zu finanzieren. Wenn fiskalisch starke Länder wie Deutschland oder Öasterreich zusammen mit stärker verschuldeten Staaten wie Italien gemeinsame Anleihen ausgeben, müssten Teilnehmer mit geringerer Bonität niedrigere Zinsen zahlen.
Kurz: "Keine Vergemeinschaftung von Schulden"
Kanzler Sebastian Kurz und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sowie die nordeuropäischen Staaten lehnen eine solche Vergemeinschaftung von Schulden auf europäischer Ebene allerdings ab.
Kurz ist der Ansicht, dass mit den existierenden Instrumenten des Rettungsschirms ESM „allen Mitgliedsstaaten geholfen wird, die Hilfe brauchen“. Sie seien die „richtige Ergänzung“ zu den Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zur Stabilisierung von Wirtschaft infolge der Corona-Krise. „Was wir weiterhin klar ablehnen ist eine Vergemeinschaftung von Schulden in der EU, wie etwa durch Coronabonds“, sagte Kurz nach dem EU-Gipfel.
Ziel dieses nun schon dritten EU-Videogipfel-Treffens dieser Art war es gewesen, endlich eine gemeinsame Linie im Kampf gegen die Pandemie zu finden: Etwa ein einheitliches Vorgehen der Europäer bei den Grenzschließungen, bei der gemeinsamen Beschaffung von Schutzausrüstung sowie Maßnahmen zur wirtschaftlichen und finanziellen Abfederung der Krise.
Der Weg sollte frei gemacht werden für die dringend nötigen Kredithilfen für Europas angeschlagene Wirtschaft. So sollen sämtliche Eurostaaten Darlehen im Wert von bis zu zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung beim Euro-Rettungsschirm ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) abrufen dürfen. Würden dies alle 19 Euro-Staaten tun, käme man auf eine Summe von 240 Milliarden Euro.
Und man wollte noch mehr: Nämlich Vorschläge für eine Exit-Strategie. Deswegen beauftragten die EU-Regierungschefs die EU-Kommission, "die notwendigen Maßnahmen vorzubereiten, um zu einem normalen Funktionieren unserer Gesellschaften zurückzukommen".
Die vom Coronavirus besonders schwer betroffenen Staaten Italien und Spanien dringen zudem auf rasche Hilfe ihrer EU-Partner. Auch osteuropäische Länder fordern mehr Unterstützung, vor allem bei der Beschaffung von Schutzausrüstung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte vor dem nahezu leeren Europäischen Parlament an, dass die Kommission dies nun gemeinsam für 25 Staaten organisiere. „Aus diesem Grund legen wir nun
das erste europäische Vorratslager für medizinische Geräte wie Beatmungsgeräte, Masken und Laborbedarf an.“ Man habe für Testkits, Beatmungsgeräte und Schutzausrüstung mehrere gemeinsame Ausschreibungen mit den Mitgliedstaaten eingeleitet. Doch bis diese tatsächlich ausgeliefert werden, dürften noch mehrere Wochen vergehen.
Die EU will aber nun weltweit Geld für die Entwicklung und Herstellung eines Covid-19-Impfstoffs einsammeln. Europa sei bereit, im Internet eine internationale Geberkonferenz für die nötige Finanzierung zu organisieren, sagten EU-Ratschef Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach der Videokonferenz.
Als weiterer Streitpunkt des EU-Gipfel erwiesen sich die nationalen Grenzschließungen. So hat Tschechien den Pendlerverkehr nach Deutschland untersagt. Deutschland wiederum hat ein Einreiseverbot für Saisonarbeiter aus Osteuropa verhängt, Österreich kontrolliert streng an seinen Grenzen.
Zudem sollte es darum gehen, wie angeschlagene Firmen vor der Übernahme aus Drittstaaten geschützt werden können. Vor allem Unternehmen im Gesundheitsbereich, der Infrastruktur und andere als strategisch erachtete Unternehmen sollen vor feindlichen Übernahmen geschützt werden.
Grünes Licht des Parlaments
Eine Weltpremiere gab es hingegen für das EU-Parlament: Die 701 Abgeordneten mussten dringend abstimmen, um Milliardenhilfen für die europäische Wirtschaft freizugeben und Lockerungen für den europäischen Flugverkehr zu ermöglichen. Doch weil sie nicht zusammenkommen durften, stimmten sie erstmals in großer Mehrheit per Mail ab. Nur eine Handvoll EU-Abgeordneter kam ins Parlament in Brüssel, um dort ihre Stimme abzugeben.
„Die Maßnahmen gegen das Coronavirus wurden nicht überall gleich erfolgreich, solidarisch und entschieden angegangen", konstatiert auch EU-Vizeparlamentspräsident Othmar Karas (ÖVP): "Manche Mitgliedstaaten tendieren in Krisenzeiten zu nationalen Scheuklappen statt europäischer Weitsicht. Daher wurden Grenzen unkoordiniert geschlossen, Versorgungsketten unterbrochen, Hilfsgüter zurückgehalten. Der ungarische Premierminister Orban missbraucht die Corona-Krise sogar, um seinen Plan, der liberalen Demokratie und Rechtstaatlichkeit schweren Schaden zuzufügen, weiterzuführen. Das ist ein vollkommen inakzeptabler Angriff auf unsere Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, ärgert sich Karas.
Doch das Parlament schlug gestern seinereits Pflöcke im Kampf gegen das Corona-Virus ein: Es gab grünes Licht für die sofortige Freigabe von acht Milliarden Euro aus den EU-Kohäsionsfonds. Durch die Mitbeteiligung der EU-Staaten können sich dadurch Hilfsmittel in der Höhe von 37 Milliarden Euro ergeben.
Möglich wurde durch die Zustimmung des Parlaments auch ein Ende der "Geisterflüge". Die geltende Slots-Verordnung wird vorübergehend (vom 1. März bis zum 24. Oktober 2020) ausgesetzt, damit die Fluggesellschaften derzeit nicht genutzten Slots im nächsten Jahr behalten können. Das soll verhindern, dass Fluglinien Flüge mit sehr geringer Auslastung durchzuführen, um gewisse Slots zu behalten.
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