Maschine auf vollen Touren: Wie in den USA Wähler mobilisiert werden
In unserer Reihe "Warum sollte mich das interessieren?" behandeln Ingrid Steiner-Gashi und Evelyn Peternel Themen, die manchmal noch weit weg erscheinen, für jede und jeden hier in Österreich jedoch große Bedeutung haben.
Er ist noch immer ein Star: John Carlos. Vor mehr als 50 Jahren schrieb der Silbermedaillengewinner über den 200-Meter-Lauf bei den Olympischen Spielen in Mexiko Sportgeschichte, als er seine in einem schwarzen Handschuh steckende, geballte Faust gen Himmel reckte. Die weltberühmt gewordene Geste war ein Zeichen gegen den Rassismus.
Der mittlerweile 78-jährige Amerikaner ist leiser geworden, aber nicht weniger aktiv in seinem Kampf für die Bürgerrechte.
Jetzt, im voll angelaufenen US-Wahlkampf, ist er wieder öfter in Schulen zu sehen. Dort trommelt der von Jugendlichen belagerte Ex-Sportler unablässig die Botschaft: Geht Wählen, wenn Ihr Eure Zukunft mitbestimmen wollt.
„Wir sind Freiwillige, wir werden für unseren Einsatz nicht bezahlt“, schildert auch Yvette Williams vom Clark County Black Caucus in Nevada.
Wie auch John Carlos zieht die Aktivistin von Nachbarschaft zu Nachbarschaft, von Schule zu Schule, von Veranstaltung zu Lesekreis, um Wähler zu mobilisieren. Wobei die ehemalige PR-Agentin nicht explizit für die republikanische oder demokratische Partei wirbt, sondern nur für die Tatsache, bei der Präsidentenwahl die Stimme abzugeben.
Und nicht nur das. „Wir sagen den Schülern auch: Redet mit euren Eltern, mit euren Freunden; schickt sie zum Wählen.“
Sieg oder Niederlage
Wie viele Menschen am 5. November tatsächlich abstimmen, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfällt, kann über Sieg oder Niederlage von Joe Biden und Donald Trump entscheiden. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2020 lag sie lediglich bei 66 Prozent. (Zum Vergleich: In Österreich bei der letzten Nationalratswahl lag sie bei 75,6 Prozent).
Und so ist in den USA bereits mehr als sechs Monate vor dem Urnengang die Mobilisierungsmaschine schon auf vollen Touren. Ein paar Tausend Wähler können den Unterschied machen, besonders in den so genannten Swing-States.
Mehr als in den anderen Bundesstaaten ziehen Aktivisten deshalb von Tür zu Tür, klopfen an Hauseingänge und hoffen, dass jemand aufmacht. So wie Snezana Barnacle, die in einem windverblasenen Vorort von Columbus, Ohio durch die leeren Straßen zieht. Sie weiß genau, wo sie anläutet, mit einer Adressenliste in der Hand und den Namen der als Demokraten registrierten Wähler. Bei Republikanern läuten, meint sie, „nein, das macht keinen Sinn. Republikaner würden uns nie wählen.“
Bis rund einen Monat vor dem Urnengang klappern beide große Parteien in den USA ihre jeweils eigenen Wähler ab. Mit Telefonanrufen, mit Fluten von Mails und Flugblättern. „Und wenn die Leute von meiner Liste dann noch immer nicht für die Wahlen registriert sind, dann komme ich höchstpersönlich zu ihrer Haustür“, sagt Gewerkschafter Danny Thomson in Las Vegas lachend zum KURIER. Wer in den USA wählen will, muss sich zuvor registrieren lassen.
Dann kann man wohl per Briefwahl abstimmen oder – was mittlerweile immer öfter vorkommt – beim early voting teilnehmen. Je nach Bundesstaat ist es möglich, bereits bis zu vier Wochen vor dem eigentlichen Urnengang seine Stimme abzugeben.
Wahlempfehlungen
In den letzten vier Wochen vor der Wahl geht es ans Eingemachte. Dann sollen auch die noch Unentschlossenen überzeugt werden – mit einer neuerlichen Flut von Hausbesuchen, Anrufen, Spendenaufrufen, SMS, Messages – alles, was einen Wähler in Europa in den Wahnsinn treiben würde.
Und dann ist da noch die Sache mit der Wahlempfehlung: Ob kleiner Radiosender oder die New York Times, ob Gewerkschaft oder Studentenclub, ob Nachbarschaftsverein oder Umweltaktivisten – alle geben eine Empfehlung ab, wer die bessere Alternative in der Auswahl Joe Biden gegen Donald Trump sein werde.
Für US-Wähler völlig normal. Eher undenkbar für Wählerinnen und Wähler in Österreich, die eine solche Welle von Wahlempfehlungen als aufdringlich, unpassend und lästig empfinden würden.
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