Biden oder Trump? Das ist der wahre amerikanische Traum
Sie hoffen nicht auf den Präsidenten oder seinen Gegner: Um die großen Krisen Inflation und illegale Immigration zu meistern, setzen die meisten Amerikaner auf die Kraft ihres Landes.
Eric Young ist ein bisschen von allem: Ein wenig Philosoph, Berater, Zuhörer und Mutmacher, vor allem aber ist er Friseur. Wer zu seinem „Nette Schnitte“-Laden in einem der ärmeren Vororte von Las Vegas kommt, darf dem freundlichen Muskelmann mit den sanften Händen alles erzählen.
Und Young hört viel von seinen fast ausschließlich schwarzen Kunden – über die halsbrecherisch gestiegenen Preise für Lebensmittel, für Benzin, für das Wohnen.
Er hört die Sorgen, dass Donald Trump wieder Präsident und damit das Leben für Afroamerikaner in den USA wie auch für Young erheblich schwerer werden könnte.
Sorgsam setzt der Friseur den Rasierapparat an den Nacken seines duldsamen Kunden an, als er sich aufrichtet und mit dem Brustton der Überzeugung postuliert: „Ich fürchte mich nicht vor Trump. Das ist mein Amerika, das ist mein wundervolles Land. Unsere Institutionen sind stark genug, um ihn auszuhalten. Und“, sagt er und fuchtelt mit dem Rasierapparat herum, „wir haben ihn schließlich schon einmal überlebt.“
Das Rennen ist offen
Rund sieben Monate vor den Präsidentenwahlen ist längst nicht entschieden, wer im November siegen wird: Amtsinhaber Joe Biden oder sein Kontrahent Donald Trump. Der 81-jährige, oft greisenhaft wirkende Demokrat oder der nur vier Jahre jüngere, rüpelhafte Republikaner.
In den landesweiten Umfragen liegt Trump nahezu Kopf an Kopf mit dem von ihm stets als „Sleepy Joe“ verunglimpften Präsidenten, doch das besagt wenig. Gewählt wird in den USA nach der Tradition der Wahlmänner und nicht nach einfachen Mehrheiten – und bis November, so ist landauf landab zu hören, „könne noch viel passieren“. Trumps laufende Gerichtsprobleme seien nur ein Teil davon.
Ohnehin sind die Staatsmacht und die Hauptstadt Washington weit weg, und Bauer John Sugar plagen derzeit ganz andere Sorgen. Der massive Regen hat einen Teil seiner Getreideernte vernichtet, die Marktpreise seien auch zu tief, sagt der 33-jährige Landwirt, und „das Schlimmste ist die Inflation!“
In siebenter Generation führt er den Hof, fernab von Ohios Hauptstadt Columbus. Dort, auf dem flachen Land, wo weit und breit nichts anderes zu sehen ist als Felder und Silos. Riesige Landmaschinen stehen in seiner Lagerhalle, ein Traktor, doppelt so mächtig, wie sie in Europa zu sehen sind. „Ich würde die Landwirtschaft gerne später auch meinem Sohn übergeben. Aber die Kreditraten, die Produktionskosten, der Diesel – alles ist so teuer geworden. Wenn das so weitergeht, werden in der Gegend viele Bauern aufhören müssen.“
Getreide, Soja, Schafe und Hühner – sie sind die Pfeiler des rural geprägten mittelwestlichen Bundesstaats Ohio. Den Klimawandel mit seinem Regenfluten und Tornados spüre er wohl, sagt Bauer Sugar. Ein unüberwindbares Problem sei das aber nicht. „Das Klima hat sich ja schon immer geändert.“ John Sugar, der bei einem Österreichbesuch besonders „St. Pölten geliebt“ hat, ist überzeugt, die Herausforderungen der veränderten Wetterbedingungen meistern zu können: „Wir haben jetzt eben bessere Maschinen – schnellere, größere und effizientere.“
Der „American Spirit“
Da ist er wieder zu spüren – der „American Spirit“. Der nie erloschene Glaube, vom Wüstenstaat Nevada bis ins mittelwestliche Ohio, dass in den USA alles zu schaffen ist. Amerika, wo große Träume mit harter Arbeit Hände wahr werden.
Adhanet Kifle ist das beste Beispiel. Als achtjähriges Flüchtlingskind kam sie mit ihren Eltern aus Eritrea in die USA. Sie lernte eifrig, studierte, arbeitete sich zur IT-Expertin hoch, gründete eine Familie und kandidierte diese Woche für ein lokales politisches Amt in ihrer Heimatstadt Columbus. Eine amerikanische Bilderbuchkarriere.Gewählt wurde die demokratische Kandidatin letztlich nicht. So schnell gibt die junge Großmutter allerdings nicht auf, will sich weiter politisch engagieren – und so dem Land danken, das sie einst großzügig aufgenommen hat. Das „Yes, we can“ von Barack Obama, mit dem der erste schwarze Präsident der USA vor 15 Jahren eine Welle der Euphorie durchs Land getragen hatte, habe sie noch in den Ohren, sagt Adhanet Kifle.
Doch gerade dieses amerikanische Selbstvertrauen wird von Donald Trumps Republikanern derzeit mit dystopischen Botschaften sturmreif geschossen: Das Land sei im Niedergang, die Wirtschaft in schlechtem Zustand, überhaupt alles „bad“, was Präsident Biden zu verantworten habe, wettert Trump unablässig vor allen Kameras.
Die rekordhohen Zahlen illegaler Grenzübertritte – 2,5 Millionen waren es im Vorjahr – liefern Trump gewaltige Wahlkampfmunition. Und er verspricht: „Wenn ich Präsident bin, beginnen die größten Deportationen in der amerikanischen Geschichte.“
Umfragen In den jüngsten landesweiten Umfragen liegen US-Präsident Joe Biden und sein republikanischer Herausforderer Donald Trump mit 45 bzw 44 Prozent Zustimmung nahezu gleichauf
Wahlsystem Die Bürger und Bürgerinnen der USA wählen ihren Präsidenten nicht direkt, sondern sie bestimmen vielmehr die Wahlmänner, die wiederum über das Staatsoberhaupt entscheiden
538 Wahlmänner umfasst das sogenannte „Electoral College“. Wer mindestens 270 dieser Stimmen gewinnt, wird nächster Präsident der Vereinigten Saaten
Auf dem richtigen Weg
Rund ein Viertel der amerikanischen Wähler hält die ungebremste Zuwanderung für das größte Problem des Landes. „Lassen Sie mich dazu eines klarstellen“, sagt Bill Collins, republikanischer Bürgermeister der Kleinstadt Marion, Ohio. „Wir haben kein Problem mit Migranten, sie haben dieses Land aufgebaut. Aber sie müssen auf dem richtigen Weg kommen – also nicht einfach illegal.“
Collins, früher Sheriff der Stadt, hat kein Zuwanderungs-, sondern ein Abwanderungsproblem. In den vergangenen Jahren gingen zahllose Jobs in der Region verloren, Fabriken lagerten ihre Produktion nach China oder Mexiko aus. Wer in der Kultur- und Trostlosigkeit der windverblasenen Stadt blieb, der wählt traditionell republikanisch.
Die einst von Ex-Präsident Trump versprochenen Jobs sind dennoch nicht zurückgekehrt.
Und so hört sich die Parteinahme des vierschrötigen Bürgermeisters mit Präsidentschaftskandidat Trump alles andere als begeistert an. „Manchmal braucht man in der Politik neues Blut“, meint Bill Collins vorsichtig.
Dann wagt er sich doch noch ein Stückchen weiter vor: „Ich bin weder mit Biden noch mit Trump zufrieden. Was immer die da in Washington entscheiden, ist nicht immer die beste Entscheidung für uns.“
Doch so weit will Bürgermeister Collins nicht blicken. „Mir ist nur wichtig, unsere Stadt besser zu machen. Und es ist mir egal, ob Republikaner oder Demokraten dafür die besseren Ideen haben.“
Fast 3.500 Kilometer entfernt, in seinem Friseursalon in Las Vegas, sieht es Eric Young ähnlich pragmatisch: Er werde im November demokratisch wählen, sagt er. „Aber wenn die Leute für Trump stimmen, dann weil sie sich wirtschaftlich mehr von ihm erwarten. Und nur das, weil sie wissen ja, dass er moralisch gesehen kein guter Mann ist.“
(kurier.at, ist)
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Aktualisiert am 24.03.2024, 16:35
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