„Zuerst müssen wir aber Methode und Vorgangsweise klären. Denn die italienische Kirche weist strukturelle, kulturelle und kirchliche Unterschiede auf, die es so in anderen Ländern nicht gibt. Die Zahlen sind natürlich wichtig, genauso wichtig ist aber zur Vorbeugung eine qualitative Analyse.“ Kritiker bezweifeln allerdings, dass diesen Worten auch Taten folgen.
Das vor ein paar Wochen erschienene Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW), das die Diözese München und Freising in Auftrag gegeben hatte, scheint zu einem Umdenken geführt zu haben. Nicht nur, weil darin von mindestens 497 Opfern sexueller Übergriffe zwischen 1945 und 2019 die Rede ist, sondern weil es dem emeritierten Papst Benedikt XVI., einst Erzbischof der Diözese, mehrfaches Fehlverhalten vorwirft.
Was in sich schon enormen Sprengwert barg, wurde noch explosiver, als der mittlerweile 94-jährige Joseph Ratzinger zuerst behauptete, an einem im Bericht erwähnten brisanten Treffen nicht teilgenommen zu haben, und sich dann korrigieren musste. Ein Verhalten, das viele vor den Kopf stieß und zu einer harschen Stellungnahme des deutschen Ordenspriesters Hans Zollner führte.
Der Jesuit ist Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und gilt als Experte auf diesem Gebiet. „Er hätte einfach sagen können, ,ich erinnere mich nicht. Sollte ich dabei gewesen sein, habe ich einen Fehler gemacht und bitte um Entschuldigung‘“, meinte Zollner.
Ratzinger beziehungsweise sein Sekretär Georg Gänswein ließen wissen, der Heilige Vater werde jetzt den Bericht lesen und dann Stellung nehmen. Ähnliches verkündete auch der Vatikan.
„Es wird aber mit höchster Wahrscheinlichkeit nichts mehr folgen“, meint Francesco Peloso, Autor etlicher Bücher über den Vatikan und Journalist. „Bei Ratzinger stellt sich angesichts seines hohen Alters und der angeschlagenen Gesundheit außerdem die Frage, wie eigenständig er überhaupt noch ist.“
Bis jetzt haben die italienischen Medien immer von den Untersuchungsergebnissen in anderen Ländern berichtet sowie von einzelnen Missbrauchsfällen im eigenen Land, aber eine Recherche dazu hat, einmal abgesehen von Peloso, niemand durchgeführt.
„Die italienische Kirche ist sehr konservativ, und außerdem haben wir den Vatikan im Hause“, merkt Autor Francesco Peloso an. „Staat und Kirche waren deshalb immer bemüht, gute Beziehungen zueinander zu pflegen.“
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